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Eine heikle Partnerschaft

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

25 Prozent der tschetschenischen Asylwerber werden anerkannt.


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Wien. Mit Russland verbindet Österreich eine sehr lange und wechselhafte Geschichte. Auch wirtschaftlich wird das gewaltige Land im Osten immer wichtiger für die kleine Alpenrepublik. In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Exporte nach Russland verdreifacht, die Importe (vor allem im Bereich Energie) vervierfacht. Doch das Verhältnis zur Russischen Föderation hat auch seine Schattenseiten: Jedes Jahr suchen Tausende russische Staatsbürger - überwiegend Tschetschenen - in Österreich um Asyl an. Jedem vierten muss aufgrund der Menschenrechtssituation in seiner Heimat Asyl gewährt werden.

Den guten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und Russland widmet sich die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft mit Ex-Raiffeisen-Oberösterreich-Boss Ludwig Scharinger an der Spitze. Diese lud in der Vorwoche Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zu einem Jour Fixe, um über "Die Beziehungen mit Russland aus Sicht der inneren Sicherheit" zu referieren. Die Ministerin - die nach eigenem Bekunden "eine hohe Affinität zu Russland" hat - war dabei voll des Lobs über die Kollegen in Moskau. Vor allem die Rückführung von abgelehnten Asylwerbern funktioniere gut, Russland sei da "ein internationales Vorbild", so Mikl-Leitner.

39.000 Asylanträgezwischen 2002 und 2012

2007 verpflichtete sich Russland in einem Rückübernahmeabkommen mit der EU zur Rücknahme russischer Staatsangehöriger, die in der EU keine Aufenthaltsbewilligung bekommen, und zwar auch dann, wenn sie keine gültigen Papiere haben. Andere Länder seien da nicht so kooperativ, sagt Anny Knapp vom Verein Asylkoordination. Dort würden Flüchtlinge, die anderswo um Asyl ansuchen, als Landesverräter und Nestbeschmutzer betrachtet. Nicht so in Russland. Moskau nimmt seine Staatsbürger - so klingt es zumindest gemäß den Ausführungen der Innenministerin - mit offenen Armen wieder auf. Und das sind nicht wenige.

Zwischen 2002 und 2012 haben 39.310 russische Staatsangehörige, vor allem Tschetschenen, in Österreich um Asyl angesucht. Knapp 17.000 von ihnen wurde Asyl gewährt. Das entspricht einer Anerkennungsquote von 43 Prozent. Vor allem als im Nordkaukasus noch Krieg herrschte, wurden die meisten Tschetschenien-Flüchtlinge anerkannt. 2008 allerdings, als sich das Kriegsende abzuzeichnen begann, drehte sich die Statistik. Seither wird immer weniger Tschetschenen Asyl gewährt - obwohl die Menschenrechtssituation gerade in Tschetschenien höchst problematisch ist. Derzeit liegt die Anerkennungsquote bei rund 25 Prozent.

"Kein stabiles demokratisches System"

"Es gibt ein erhebliches Risiko für Menschenrechtsverletzungen", sagt Anny Knapp im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Aus Sicht der NGO-Vertreterin "sollte es keine Rückführungen nach Tschetschenien geben". Noch sei unklar, wie sich das Land entwickle, der Beobachtungszeitraum sei zu kurz. Zudem seien Fälle bekannt, wo die abgeschobenen Asylwerber nach ihrer Rückkehr verschwunden seien. Andere wurden für Jahre ins Gefängnis gesteckt. "Das sind zwar Einzelfälle, aber Indikatoren dafür, dass Tschetschenien kein stabiles demokratisches System ist."

Auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat Österreich heuer schon wegen einer - letztlich ausgesetzten - Abschiebung eines Tschetschenen gerügt. Die Richter in Straßburg sahen den Mann einem realen und persönlichen Risiko ausgesetzt.

Anny Knapp glaubt, dass sich gerade bei Tschetschenen seit Kriegsende die Entscheidungspraxis der österreichischen Asylbehörden geändert hat. Es werde immer genauer geprüft und im Zweifel nicht mehr für, sondern gegen den Asylwerber entschieden.

Asylamt: Entscheidend ist die Flüchtlingskonvention

Dem widerspricht Wolfgang Taucher, Leiter des Bundesasylamts, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" vehement. Schon vor 2008 sei jeder Fall einzeln und sehr genau geprüft worden. Damals wie heute sei die einzig entscheidende Frage, ob jemand gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention der Gefahr von Verfolgung ausgesetzt ist. Dabei sei weniger die Vergangenheit entscheidend, sagt Taucher, sondern ob die Verfolgungsgefahr "aktuell und in die Zukunft gerichtet" ist. Die Frage der Asylbehörden ist also nicht, was war, sondern was würde bei einer Rückkehr passieren. Dass mittlerweile das Gros der tschetschenischen Anträge abgelehnt wird, erklärt Taucher damit, dass sich die Situation in Tschetschenien geändert hat.

Aber warum werden dann immer noch 25 Prozent anerkannt? "Ich will nicht aus der Statistik den Menschenrechtsstandard eines Landes ableiten, das ist auch nicht die Aufgabe der Asylbehörden", sagt Taucher. Zumindest für einen Teil der positiven Bescheide hat er aber eine Erklärung, die mit Flucht und Menschenrechten recht wenig zu tun hat: "Nachgeborene Kinder haben Anspruch auf den selben Status" und bei einer großen Community wie der tschetschenischen seien das einige pro Jahr - und für jedes Neugeborene gibt es ein eigenes Asylverfahren mit Individualprüfung. Allerdings machen diese Kinder wohl kaum den Großteil der derzeit rund 1000 anerkannten tschetschenischen Asylwerber pro Jahr aus.

Im Büro von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner räumt man ein, dass das Verhältnis zu Russland "ambivalent" ist. Allerdings sei eine Veranstaltung der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft nicht der Anlass, "um die Pflöcke der österreichischen Außenpolitik für die nächsten zehn Jahre einzuschlagen".

Sollte Innenministerin Mikl-Leitner auch nach der Wahl im Amt sein, würde sich aber schon im Herbst ein passenderer Anlass finden, um gegenüber Russland die Menschenrechtslage in Tschetschenien anzusprechen. Dann stehen nämlich der Abschluss eines Polizei- und eines Katastrophenhilfeabkommens zwischen Österreich und Russland an.

Asylhelferin Anny Knapp erhofft sich jedenfalls klare Worte der österreichischen Politik: "Österreich als neutraler Staat könnte sich in Sachen Menschenrechte durchaus weiter aus dem Fenster lehnen."

Wissen

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Die Genfer Flüchtlingskonvention - eigentlich: "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" - wurde 1951 auf einer UNO-Sonderkonferenz in Genf verabschiedet und trat 1954 in Kraft. Demnach muss als Flüchtling anerkannt werden, wer aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung verfolgt wird. Die Konvention legt auch die Rechte der Flüchtlinge fest, etwa den Schutz vor Diskriminierung, freien Zugang zu Gerichten, Straffreiheit der illegalen Einreise oder Schutz vor Ausweisung.

Insgesamt 144 Staaten sind bislang der Konvention beigetreten. Nicht vertreten sind etwa Libyen, Indien, Saudi-Arabien, Syrien, Libanon oder Irak.

Im 16. Jahrhundert geriet das heutige Tschetschenien unter russischen Einfluss, allerdings blieb die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch. Nach dem Ende der Sowjetunion erklärte Präsident Dschochar Dudajew sein Land 1991 für unabhängig, was von Moskau nicht anerkannt wurde. Die russische Regierung marschierte schließlich im Dezember 1994 mit 40.000 Mann in Tschetschenien ein. Dieser erste Tschetschenienkrieg endete im Juni 1996.

1999 kam es zum zweiten Tschetschenienkrieg, als islamistische tschetschenische Freischärler die Nachbarrepublik Dagestan angriffen, um es einem islamisch-fundamentalistischen Kalifatstaat anzuschließen. Die russische Armee marschierte erneut ein und Moskau erklärte Tschetschenien zu einer "Zone der Ausführung antiterroristischer Operationen". In der Folge kam es zu Anschlägen tschetschenischer Attentäter, etwa auf ein Moskauer Theater oder eine Schule in Beslan (Ossetien). 2009 wurde der Krieg offiziell für beendet erklärt. Die Macht im Land liegt beim moskautreuen Ramsan Kadyrow, der ein autoritäres Regime führt.