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Eine historische Chance für mehr Steuergerechtigkeit

Von Dominik Bernhofer und Philipp Gerhartinger

Gastkommentare

Konzerne müssen mehr Steuern bezahlen - und zwar weltweit.


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Enorme Summen werden von der öffentlichen Hand ausgegeben, um die Folgen der Corona-Krise ein wenig abzufedern. An die Zeit nach Corona - und wie das alles finanziert werden kann - wird derzeit wenig gedacht. Dabei gibt es Ideen: Die seit rund zwei Jahren laufenden OECD-Verhandlungen über eine Totalreform der internationalen Konzernsteuerregeln sind relativ unbemerkt vom öffentlichen Interesse in eine entscheidende Phase getreten. Nach dem Treffen des Inclusive Framework gegen die Steuertricks von Konzernen bei der OECD im Oktober kommen die G20 ab 20. November zusammen, um die Verhandlungen über die Neugestaltung der Gewinnzuteilungsregeln (Säule 1) und die Einführung eines globalen Mindeststeuersatzes (Säule 2) weiterzuführen.

Gerade für die EU ist dies eine historisch einmalige Chance, endlich effektive Schritte gegen die Steuertricks der Konzerne und den Steuerwettbewerb der Staaten zu setzen. Im EU-Vergleich ist der Steuerbeitrag der Konzerne und Kapitalgesellschaften seit dem Jahr 2000 im Durchschnitt stetig gesunken. Und die Steuertricks der Konzerne und die Möglichkeiten zur Steueroptimierung allein sorgen für weltweite Steuerausfälle von knapp 200 Milliarden US-Dollar jährlich für die öffentlichen Haushalte. Das entspricht knapp 10 Prozent der globalen Körperschaftsteuereinnahmen.

Natürlich wehren sich die Konzerne mit allen Mitteln, wenn sie mehr zur Kasse gebeten werden. Auch am Beispiel der Finanztransaktionssteuer sieht man, wie schwierig solche Einigungen gerade auf EU-Ebene sind. Momentan sprechen aber zumindest drei Gründe für einen Erfolg:

Gemeinsam gegen
die Blockierer

Eine Einigung auf OECD-Ebene hat das Potenzial die Widerstände der EU-Steueroasen wie Irland oder Luxemburg zu durchbrechen, die wegen der Einstimmigkeitserfordernis im Finanzministerrat bis jetzt jede EU-weite Reforminitiative erfolgreich blockiert haben. Die Einbindung von mehr als 100 Ländern, darunter auch Schwergewichten wie den USA oder China, isoliert die Blockierer und erschwert es ihnen, die Position zu halten. Das war beim automatischen Informationsaustausch so, und das wird bei Digital- und Mindeststeuer ähnlich sein.

Höhere Ausgaben machen neue Einnahmen nötig

Dazu kommt, dass die öffentlichen Haushalte perspektivisch unter einem erheblichen Konsolidierungsdruck stehen. Die Corona-Krise sorgt für höhere Ausgaben, etwa im Gesundheitsbereich oder im Zusammenhang mit den Wirtschaftshilfen, bei gleichsam sinkenden Einnahmen aufgrund des Wirtschaftseinbruchs und der gestiegenen Arbeitslosigkeit. Der Druck auf die Politik, sich potenzielle Steuereinnahmen nicht mehr entgehen zu lassen, ist also größer als in wirtschaftlich ruhigeren Zeiten, die Nachfrage nach Instrumenten für eine gerechte und beschäftigungsfreundliche Konsolidierung entsprechend höher. Denn irgendwann müssen die milliardenschweren Hilfspakete finanziert werden. Dazu kommt, dass multinationale Konzerne aufgrund ihrer Größe oft überproportional von staatlichen Hilfsprogrammen profitieren. Auch deshalb wäre ein Mindeststeuersatz ein Beitrag zu einer gerechten und beschäftigungsfreundlichen Krisenfinanzierung.

Druck in Richtung
mehr "Waffengleichheit"

Zudem sind viele (Digital-)Riesen - die ja in der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht zu Unrecht im Zentrum der Kritik stehen - sehr gut durch die Krise gekommen sind. Viele haben von der Krise sogar deutlich profitieren können, wenn man etwa an Streaming-Dienste oder den Online-Handel denkt. Am anderen Ende kämpfen die Klein- und Mittelbetriebe ums Überleben. Der Druck in Richtung mehr "Waffengleichheit" ist also größer denn je.

Die beiden Reformsäulen entkoppeln

Trotz günstiger Rahmenbedingungen ist ein positiver Abschluss der OECD-Verhandlungen aber keine ausgemachte Sache. Vor allem die Reform der Gewinnzuteilungsregeln, wo die "Marktstaaten" einen größeren Anteil am Kuchen bekommen sollen, ist stark umkämpft. Anstatt sich in diesen Kämpfen zu verlieren und das Gesamtprojekt zu gefährden, sollten die beiden Reformsäulen entkoppelt werden. Der Mindeststeuersatz, wo es großen Konsens gibt, könnte früher - womöglich noch heuer - vereinbart werden, die neue Verteilung der Konzerngewinne später kommen. Wenn einzelne Länder, wie zum Beispiel Großbritannien, die Reformsäulen jetzt unbedingt koppeln wollen, dann nur, weil sie den Mindeststeuersatz torpedieren und verhindern wollen. Dieser Verhandlungsstrategie muss entgegengearbeitet werden.

Überhaupt ist der Mindeststeuersatz ein unterschätztes Instrument, weil er nicht nur gegen die Verschiebung von Konzerngewinnen in Steueroasen wirkt, sondern auch den Steuerwettbewerb in der EU de facto "einfriert". Das sind gute Nachrichten, denn nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds kommt der Steuerwettbewerb die Steuerzahler noch deutlich teurer als die Steuertricks der Konzerne. Bei der Ausgestaltung geht es weniger um die Höhe des Mindeststeuersatzes - hier gilt natürlich: je höher, desto besser - sondern um die technischen Fragen wie Bemessungsgrundlage, Abrechnungsebene oder Ausnahmen. Der aktuelle Verhandlungsstand geht hier in die richtige Richtung. Der Mindeststeuersatz wird damit immer mehr zur großen Hoffnung für mehr Steuergerechtigkeit - in Europa und der Welt insgesamt. Es wird Zeit, dass das auch in der Öffentlichkeit ankommt.