![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Es ist ein fatales Bild für die britische Regierung: Im schwarzen Jaguar zischt Premierminister Tony Blair an einer Schlange wartender Autofahrer vor einer Tankstelle vorbei. Das Foto zierte am Dienstag die Seiten vieler britischer Zeitungen, und selbst das Labour-Blatt "The Mirror" höhnte: "Mr. Blair geht es prima, sein Tank ist immer voll."
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Einige Stunden, nachdem das Bild aufgenommen wurde, bekam der Premier die Proteste allerdings doch zu spüren: Demonstranten hämmerten gegen die Scheiben seiner Limousine und versperrten ihm den Weg zu einem Restaurant in Hull. Blair musste umdrehen und ein Essen mit seinem Stellvertreter John Prescott absagen.
Die "große Benzinrevolte" habe Großbritannien an den "Rand des Chaos" gebracht, schreibt das Massenblatt "The Sun". Wer hätte das für möglich gehalten? Noch in der vergangenen Woche hatte sich die konservative Presse über das "anarchistische" Frankreich erregt, das es einigen "Fischern und Bauerntölpeln" erlaube, britische Touristen aufzuhalten. Doch am Wochenende wurde die französische Taktik prompt von einigen britischen Bauern kopiert, und am Dienstag saßen weite Teile der Insel bereits auf dem Trockenen.
Mit "sehr unbritischer Militanz" ("The Independent" kämpft das Volk nun um die letzten Tropfen Sprit. Mancherorts steht man Stunden in der Schlange. Ein Rentner, der gerade noch rechtzeitig gekommen war, um den Tank seines Sportwagens aufzufüllen, erlag neben der Zapfsäule einem Herzinfarkt. Manche Tankstellenpächter wittern das große Geschäft und verlangen umgerechnet 56 Schilling pro Liter. Touristen sagen ihren Urlaub ab, Kliniken verschieben Krankentransporte.
Unterdessen beraumte die Regierung eilig ein Treffen mit Königin Elizabeth an. Auf Schloss Balmoral, dem Urlaubssitz der Queen im schottischen Hochland, ließ sich Blair mit allen Sondervollmachten zur Niederschlagung der Revolte ausstatten. Am Dienstag erging aus der Downing Street die dramatische Verlautbarung: "Die Streitkräfte werden vorläufig noch nicht eingesetzt."
Blair hatte sich schon am Montag jeden Spielraum für Verhandlungen genommen. In "Churchillhaftem Ton" ("The Times") sagte er zu den Blockaden von Öldepots und Raffinerien: "Das ist nicht die Art, wie in Großbritannien Politik gemacht wird."
Aber auch seine Gegner zeigen sich unversöhnlich. Es sind keine Gewerkschaftsfunktionäre, sondern einige entschlossene Bauern und Spediteure, die vor drei Tagen noch völlig unbekannt waren, nun aber mit einigen strategisch aufgestellten Traktoren das halbe Land lahm legen. Der bullige Schafzüchter Brynle Williams etwa blockiert mit einigen Gefolgsleuten eine riesige Raffinerie im mittelenglischen Cheshire. "Aus irgendeinem Grund hat man mich zum Vorsitzenden gewählt, vielleicht weil ich die lauteste Stimme von Nordwales habe", sagt er.
Bezeichnend ist auch, dass sich nach Jahren in der Versenkung der ehemalige Erzfeind von Margaret Thatcher zurückmeldet, Bergarbeiterführer Arthur Scargill. Zwar ist die Zahl der Mitglieder in seiner Gewerkschaft spektakulär von über einer Viertelmillion auf 9. 000 geschrumpft, aber wie einst ruft er nun wieder zu Klassenkampf und Gesetzesbruch auf. Eine Zeit, die "Cool Britannia" schon lange hinter sich glaubte, scheint mit einem Mal zurückgekehrt.