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Österreich ist keine Insel und die Erde keine Scheibe.
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1941, also genau vor 80 Jahren, wurde der genaue Zusammenhang zwischen Klima und dem menschlichen Handeln erstmals beschrieben. Der deutsche Wissenschafter Hermann Flohn veröffentliche seine Habilitation in der "Zeitschrift für Erdkunde" unter dem Titel "Die Tätigkeit des Menschen als Klimafaktor". In den Wirren des Zweiten Weltkriegs interessierte das aber niemanden. Erst 1949 wurde er aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Tätigkeiten zur ersten Tagung der Klimakommission der World Meteorological Organisation (WMO) in die USA eingeladen.
Dort traf er John von Neumann, einen der Väter der Informatik. Dieser präsentierte ihm in Princeton den legendären Eniac-Rechner mit den Worten: "Das Zweitschwierigste für einen Computer ist die langfristige Wettervorhersage." Das provozierte die Gegenfrage von Flohn: "Und was ist das Schwierigste?" Neumanns Antwort: "Menschliches Verhalten." Natürlich traf Flohn in den USA auch Jule Charney, der drei Jahrzehnte später den legendären "Charney Report" über den vom Menschen verursachten Treibhauseffekt veröffentlichte. Als er zum ersten Treffen mit Charney die Straße entlang spazierte, stoppte ein Auto neben ihm. Überrascht fragte er den Fahrer, der ihn mitnehmen wollte, warum. Dessen Antwort: Er dachte, er wäre Albert Einstein. Denn der sei der Einzige, der hier zu Fuß gehe. So lernte Flohn 1949 Charney kennen.
Diese Begegnung ist ein schönes Beispiel dafür, dass die Beschreibung des Weltklimas in der Vergangenheit und in der Zukunft nur durch die Zusammenkunft der hellsten Köpfe aus den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen möglich war. Es waren die Denkanstöße von einigen wenigen wie Flohn, die in weiterer Folge unzählige Wissenschafter motivierten, seine Überlegungen nachzuprüfen.
Ein Vordenker globaler Zusammenhänge
Auch der im heurigen September 91-jährig verstorbene Österreicher Siegfried Bauer spielte im großen Orchester der Wissenschaft eine wichtige Rolle. Als leitender Direktor war er an zahlreichen Weltraumprogrammen wie zum Beispiel der Venus-Mission beteiligt. Durch die Erforschung anderer Planeten, insbesondere der Venus, konnte man Vergleiche mit der Erdatmosphäre herstellen. Die Atmosphäre der Venus hat einen so hohen CO2-Gehalt, dass es dort an der Oberfläche 467 Grad Celsius heiß ist. Sein Wissen über die Planeten hat Bauer zum Vordenker globaler Zusammenhänge gemacht. Ohne ihn gäbe es auch kein Wegener Center in Graz, denn es waren seine Ideen, mit denen er seine Studenten auf den Weg schickte. Einer davon war Gottfried Kirchengast. Der Gründer des Wegener Centers ist heute eine Koryphäe der Klimaforschung.
Flohn nutzte seine internationalen Beziehungen und konnte 1987 den ersten Supercomputer - Cray-II - für das Deutsche Klimarechenzentrum in Hamburg vermitteln. Die große Rechenleistung nutzte Klaus Hasselmann für die Klimamodellierung. Mit dem damaligen Supercomputer errechnete er Anfang der 1990er Jahre den klimatischen Fingerabdruck des Menschen. Die Ergebnisse waren eindeutig. "95 Prozent der Klimaveränderungen werden durch das Tun des Menschen verursacht", resümierte Hasselmann 1992 (als ich im selben Jahr mit dem Fahrrad nach Hamburg fuhr, um im Rahmen meiner Diplomarbeit über Klimamodelle das Deutsche Klimarechenzentrum zu besuchen, war mir gar nicht bewusst, wie wichtig Hasselmanns Berechnungen waren).
Aber auch in Österreich wurde zuvor bereits Klimageschichte geschrieben. Denn im Jahr 1985 waren 89 Koryphäen der Klimaforschung wie zum Beispiel Bert Bolin, Syukuro Manabe, Roger Revelle, Phil Jones, zu Gast in Villach. "Erstmals in der Geschichte ist der Mensch dabei, das Weltklima zu ändern!" Diese Erkenntnis formulierten 1985 die Klimaforscher der World Meteorological Organization (WMO), des United Nations Environment Programme (UNEP) und des International Council for Science (ICSU) in Villach. Damals gab es null Interesse seitens der Weltöffentlichkeit. Es gab keinen Presserummel - nicht einmal Fotos dazu sind in den Archiven zu finden.
Ein Meilensteinin der Klimadebatte
So unbeachtet sie war, so grundlegend war sie: Die Klimakonferenz von 1985 gilt heute als Meilenstein in der Klimadebatte. Damals konnte man anhand der Daten aus den Eisbohrkernen erstmals wie durch ein Fernrohr in die Klimavergangenheit schauen. Mit den im Eis eingeschlossenen Luftbläschen konnte man den atmosphärischen CO2-Gehalt der Vergangenheit rekonstruieren.
Das war das fehlende Puzzlestück für die Klimaforscher. In Villach sahen die Klimaforscher erstmals das ganze Puzzle des vom Menschen verursachten Klimawandels. "Der Mensch ändert das Klima, und das schneller als bisher angenommen." Mit diesem Wissen gingen sie 1985 an die Weltöffentlichkeit. Nach der Villacher Konferenz musste die Politik - in diesem Fall die UNO - handeln. Kurz darauf, nämlich im Jahr 1988, wurde der Weltklimarat (IPCC) gegründet: Der Impuls dazu war aus Villach gekommen.
Hasselmann erhielt heuer gemeinsam mit Syukuro Manabe den Nobelpreis für seine epochalen Klimamodellierungen. Im Jahr 2021 ist die Eindämmung des Klimawandels zur Menschheitsaufgabe geworden. "Ich habe keinen Sand mehr, in den ich meinen Kopf stecken kann - ich sehe es in den Daten." Dieses Zitat von Kirchengast beschreibt die gegenwärtige Situation der Klimaforschung sehr gut.
Abertausende Wissenschafter haben durch ihre Erdbeobachtungen eine planetare Perspektive erschaffen. Sie können mit den ihnen zur Verfügung stehenden Instrumentarien in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen. Mit ihren Expertisen rütteln sie uns in der Gegenwart wach. Nun liegt es an uns, ein planetares Gewissen zu verinnerlichen. Denn viele haben zwar gelernt, dass die Erde eine Kugel ist. Aber emotionell und politisch reagieren sie, als wäre sie eine Scheibe. Und sie schaffen es nicht, über den Horizont hinauszudenken. Das wird aber dringend notwendig sein.