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Eine kleine Grenzüberschreitung

Von Simon Rosner

Politik
Die Mittelberger wollten sich einen so seltenen Besuch nicht entgehen lassen.
© Bundeskanzleramt/Drangan Tatic

Bundeskanzler Kurz teilte die Hoffnung auf die baldige Grenzöffnung zu Deutschland persönlich im Kleinwalsertal mit - und begab sich damit in einen Sturm der Kritik.


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Das Kleinwalsertal ist ein geografischer Sonderfall. Es liegt in Vorarlberg, allerdings in den Allgäuer Alpen und ist nur via Deutschland per Straße zu erreichen. Durch die Grenzsperre war das Kleinwalsertal mit der Gemeinde Mittelberg de facto von der Außenwelt abgeschnitten. Bundeskanzler Sebastian Kurz wollte deshalb, wie die ÖVP sagt, der Bevölkerung am Mittwochabend Mut zusprechen. Praktischerweise konnte er den Bewohnern gleich die Kunde von der baldigen Grenzöffnung zwischen Österreich und Deutschland mitbringen. Der letzte Kanzler, der das Kleinwalsertal besuchte, war Bruno Kreisky im Jahr 1973.

Landesweit schwirrten dann abends Videos durch Social Media, die den Kanzler und seine Begleiter, darunter Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), bei einem für Politiker generell nicht ungewöhnlichem Verhalten zeigte, das man auch als "Bad in der Menge" bezeichnen könnte. Die Menge war zwar überschaubar, die Geselligkeit zumindest von politischer Seite doch etwas schaumgebremst, aber hinsichtlich Abstand und Mundschutz wurde den geltenden Verordnungen nicht Genüge getan. Die Bilder aus dem Kleinwalsertal sorgten für Aufregung bei der Opposition und auch bei zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern. Neos-Abgeordneter Sepp Schellhorn kündigte postwendend Anzeigen an, nahm davon tags darauf aber Abstand. "Werde nicht dutzende Private mit Anzeige konfrontieren, nur damit sich Kurz weiter an ihnen abputzen kann", twitterte Schellhorn.

Die Neos werden aber wie auch die SPÖ eine parlamentarische Anfrage stellen. Es stelle sich die Frage nach der Organisation im Vorfeld, hieß es von der SPÖ. Für den Verfassungsrechtler Peter Bußjäger ist die Sache rechtlich gedeckt, da "Tätigkeiten im Wirkungsbereich der Organe der Gesetzgebung und Vollziehung" von der Verordnung ausgenommen sind.

Heftige Kritik der Oppositionam Bundeskanzler

Doch die rechtliche Seite ist nur eine Tangente der Causa, die politische ist wirkmächtiger. Kurz sei jetzt eindeutig ein "Lebensgefährder", sagte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl. Diesen Terminus hatte Innenminister Karl Nehammer gebraucht, erinnerte Kickl, der die gesamte Regierung der "Heuchelei und Doppelmoral" bezichtigte. Kurz ignoriere "munter seine eigenen Vorgaben, obwohl ja angeblich die Apokalypse über Österreich hereinbricht, wenn man dem Wort des Kanzlers nicht buchstabengetreu Folge leistet".

Die ÖVP verwies darauf, dass der Besuch anders hätte ablaufen sollen. Im Video der "Vorarlberger Nachrichten" ist auch zu sehen und zu hören, wie Kurz Grußworte an die Bewohner richtet. "Wir müssen ein bisserl improvisieren", sagt der Kanzler, ohne Mikrofon. Es seien "Gesprächsrunden mit acht Vertretern der Gemeinde" geplant gewesen, so Kurz, der auch die Einwohner bat, Abstand zu halten.

Am Donnerstag postete ein Kanzler-Sprecher ein Infoblatt der Gemeinde auf Twitter, auf dem die Einhaltung der Covid-Regeln eingemahnt wird. Es heißt darin auch: "Es handelt sich um ein Arbeitstreffen, keine öffentliche Veranstaltung." Die Gemeinde Mittelberg teilte das auch via Facebook. Dort fand sich aber auch der Hinweis: "Die Verantwortlichen freuen sich über eine Beflaggung der Häuserfassaden und auch Bekundungen entlang der Walserstraße." Der Satz wurde später aus dem Facebook-Eintrag gelöscht.

Tags darauf war der Auflauf auch dem Bürgermeister unangenehm. "Das Zusammenrücken war der Emotion geschuldet", so Andi Haid. Man habe sehr wohl Vorkehrungen getroffen. "Es hat auch keine Musik gespielt, das wäre das Normale", sagte Haid gegenüber der APA. Man habe auch extra das Veranstaltungszentrum Walserhaus in Hirschegg als Ort für das Arbeitstreffen gewählt, weil dort entsprechende Räumlichkeiten vorhanden seien, um die Abstandsregel einhalten zu können. Was jedenfalls bleibt, sind aber Bilder, bewegte und Fotos, die den Kanzler bei einer Tätigkeit zeigen, die seinen Appellen der vergangenen Wochen klar entgegenstehen.

Ein Drittel Österreichsgilt als "Corona-frei"

Was die Grenzöffnung betrifft, weswegen der Besuch ja stattfand, gab sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober am Donnerstag zuversichtlich. Denn laut den offiziellen Tests gilt ein Drittel Österreichs als "Corona-frei". In 33 von 94 Bezirken wurde seit 14 Tagen keine Neuinfektion registriert. Sollte alles gut gehen, könnte die Öffnung durchaus auch beschleunigt werden, so Anschober.

Auch Deutschlands Innenminister Horst Seehofer hatte eine Grenzöffnung von den Infektionszahlen abhängig gemacht: Sollte es im grenznahen Raum mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche geben, müssten die Lockerungen wieder zurückgenommen werden, sagte der CSU-Politiker.

Ablehnend steht Italien sogenannten "Tourismus-Korridoren" in der EU gegenüber. "Wir werden keine bilateralen Abkommen zulassen, die in Europa bevorzugte Korridore für Touristen schaffen. Das würde die Zerstörung des gemeinsamen EU-Markts bedeuten", warnte Premier Giuseppe Conte bei einer Pressekonferenz am Mittwochabend in Rom.