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Eine kleine mediale Untergangssymphonie

Von Gerald Schmickel

Reflexionen
© Sternisa

Zwei Wochen Weltuntergang: Beim Studium von Qualitätszeitungen begegnet dem Leser der Horror in vielerlei Gestalt.


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Als Optimist hat man es grundsätzlich immer schwer, derzeit aber ganz besonders. Denn so viel apokalyptischen Pessimismus gab es schon lange nicht mehr. Damit meine ich gar nicht die großen Weltuntergangsphantasien, die - wie etwa rund um den letzten Jahrtausendwechsel und demnächst wohl Ende 2012 (wegen des jäh endenden Maya-Kalenders) - sporadisch aufblühen, doch rasch, weil eh nichts passiert, wieder verdämmern. Ich meine vielmehr die kleinen, partikularen Untergangsängste, mit denen man fast tagtäglich konfrontiert wird, hauptsächlich in und über Medien. Dabei geschieht dies gar nicht vordringlich im Boulevard, zu dessen Kerngeschäft die Angstbewirtschaftung zwar gehört, der sich aber meistens mit dem naheliegenden Horriblen aus der kleinen, engen Welt der Un- und Überfälle begnügt. Es sind die Medien mit den angeblich großen Horizonten, die ständig Untergänge heran- und heraufdräuen sehen - und genüsslich verbreiten.

Im heurigen November ist mir das innerhalb weniger Tage besonders aufgefallen, als ich in fast jeder Ausgabe so- genannter Qualitätszeitungen die eine oder andere Untergangs-Geschichte las - oder zumindest Artikel, die sich mit dunklen Spekulationen beschäftigten. Die folgenden Beispiele stammen allesamt aus nur zwei Kalenderwochen (45/46), die letztlich beliebig gewählt wurden und nur als zufällige exemplarische Verdichtung von Meldungen dieser Art dienen sollen (und in den folgenden Medien gefunden wurden: "Wiener Zeitung", "Presse", "Standard", "Kurier", "Die Zeit" und "Süddeutsche Zeitung"). Es ist seitdem nicht besser geworden . . .

Da gab es etwa die Nachwehen der Sarrazin-Debatte in Deutschland (mit einigen Aus- und Irrläufern auch in unserem Land). Der Titel des umstrittenen Buches lautet bekanntlich "Deutschland schafft sich ab" - und genau diese Eliminations-Vorstellung entzündete, wie mir scheint, die Debatte erst so richtig. Es geht Sarrazin und seinen Adepten ja nicht darum, dass das Zusammenleben mit Migranten oder sonst wem schwierig ist (oder sein mag), sondern darum, dass etwas verschwindet, nämlich gleich ein ganzes Land, bzw. dessen (Leit-)Kultur. Erst diese provokante, überspitzte Untergangsthese erregte allgemeine Aufmerksamkeit, aus der jene breite, hitzige Debatte überhaupt entstehen konnte.

Aber es ist nicht nur Deutschland, das sich abschafft. Auch Österreich droht zu verschwinden. Das behauptet niemand Geringerer als Peter Filzmaier. Im Rahmen der Vorstellung seines neuen Buches "Der Zug der Lemminge" - auch ein Titel, der es an bildlicher Unheilprophetie nicht fehlen lässt! - gab sich der omnipräsente TV-Politikwissenschafter aufgrund des fehlenden Vertrauens großer Bevölkerungsteile in Politik und Demokratie nicht nur um den gesellschaftlichen Zusammenhalt besorgt, sondern sah sogar den Staat Österreich insgesamt gefährdet.

Nicht gerade verschwinden, aber ebenfalls als lemminghaft begabt sieht unser Land Christian Ortner. Gestützt auf die Warnung der Ratingagentur Standard & Poors, wonach Österreich eine empfindliche Verschlechterung der Kreditwürdigkeit drohe, imaginiert der Kolumnist einen Absturz der Republik auf das Niveau Griechenlands in gar nicht so ferner Zukunft. Schlimmer gehts kaum.

Nicht viel beruhigender liest sich die Prophezeiung der amerikanischen Philosophin Susan Neiman, welche die USA knapp vor einem Bürgerkrieg stehen sieht. Auf die kalmierend gemeinte Frage ihres Interviewpartners, ob eine mögliche Ablöse des Obama-Regimes durch Republikaner bei der Wahl 2012 nicht einer gewissen politischen Normalität entspreche, antwortet Neiman: "Von Normalität in Amerika kann keine Rede sein, die Zustände sind viel zu erhitzt. Ich bleibe bei meiner Bürgerkriegsmetapher."

Auch in Europa kann von Normalität keine Rede sein, obwohl hier niemand einen Bürgerkrieg unmittelbar bevorstehen sieht. Und obwohl die Vorstellung, dass Europa oder zumindest die Europäische Union zerbricht, niemand besonders aufregt. Man liest und hört diese Kassandrawarnung zu oft, praktisch täglich, sie ist Untergangsalltag. Ebenso wie die Rede vom Zusammenbruch des Euro als gemeinsamer Währung. Auch daran hat man sich gewöhnt, das ist fast schon Normalität.

Dass nicht die Ökonomie in der Krise ist, sondern die Ökonomie selbst die Krise ist, behauptet wiederum ein kämpferisches Manifest, das zuerst in Frankreich aufgetaucht ist und mittlerweile auch auf Deutsch vorliegt: "Der kommende Aufstand" heißt es und wurde von einem "unsichtbaren Komitee" verfasst (wobei die französischen Behörden den Philosophen Julien Coupat dahinter vermuten). Darin wird - in apokalyptischem Tremolo - die Gegenwart als Hölle der Entfremdung be- und gezeichnet, und nur die "Gewalt der Straße", zu welcher mit altem linksaktionistischen Furor aufgerufen wird, könne diese kapitalistische Pein beenden.

Das klingt zwar martialisch, ist aber vermutlich nicht weiter ernst zu nehmen. Laut einer Studie fürchten sich in Österreich nur rund 14 Prozent vor Linksextremismus. Tatsächlich scheint jener von rechts gefährlicher zu sein. So wurde etwa in dem besagten Zeitraum, den wir hier betrachten, eine neonazistische Bewegung vom Verfassungsschutz ausgehoben, die im Schutz der Anonymität eines US-Internet-Servers der Republik (und nicht nur dieser) den Krieg erklärt hatte - und bei der auch Waffen sichergestellt wurden. Auch diese "Kämpfer" sind, so wie ihre Kollegen vom gegenüberliegenden Rand des radikalpolitischen Spektrums, Verfechter eines Systemuntergangs. (Nur darin, was diesem folgen soll - wenn überhaupt noch etwas -, besteht Uneinigkeit.)

Zu diesen globalen, kulturellen und politisch-ökonomischen Untergängen, die täglich irgendwo beschworen werden, gesellen sich kleinere, mikrokosmische - und auch sie sind fest im Kanon der Kultur- und Sozialkritik verankert. So sieht seit Menschengedenken praktisch jede Generation die ihr nachfolgende irgendeinem Untergang geweiht - zumindest, solange sie jung ist. Was früher Fernsehen oder Popmusik angerichtet haben sollen (tatsächlich sind die meisten von uns dadurch gescheiter, nicht blöder geworden), verursachen nun angeblich die neuen elektronischen Medien. So beschwört - neben vielen anderen - "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe die Gefahren, die von SMS und Internet ausgehen, weil sie die Kids falsch "verdrahten", und konstatiert eine generelle Verblödung, die von Computer- und Smartphone-Schirmen ausgehe. Solchen Kulturpessimismus lesen viele gerne. Er scheint etwas Beruhigendes auszustrahlen, wie ja generell alle Untergangsszenarien. Das ist wohl der tiefere Grund dafür, warum diese gar so zählebig sind, eine Konjunktur nach der anderen erleben - selbst jedoch nie untergehen.

Obwohl selbst auf Popmusik kein Verlass mehr ist - der "Standard"-Popkritiker konstatiert deren langsamen Tod ("…immerhin liegt Pop schon seit Jahren im Sterben") -, möchte ich abschließend ein paar Songzeilen der Kölner Band "Erdmöbel" als probates Gegengift zum grassierenden Schwarzsehen zitieren:

"morgenrot über den kaminen

butterbrotpapier zwischen den schienen

wie zitronen gelb ist die straßenbahn

und am ende fang ich zu singen an

und das ist schön

ich kann eure tränen nicht verstehen

das leben ist schön

ich kann es sehen."

Sehen Sies auch?