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Eine korrupte Elite in Bedrängnis

Von Oliver Junker

Politik

Paris - Schon lange steht Eva Joly unter Polizeischutz, Morddrohungen gehören zu ihrem Berufsalltag. Die Pariser Untersuchungsrichterin wagte sich 1994 an jenen Fall, der in Frankreich zur Staatsaffäre wurde: den Finanzskandal um den Ölkonzern Elf-Aquitaine. Jolys Nachforschungen trafen die französische Machtelite ins Herz, ihre Erkenntnisse bedrohen einflussreiche Ex-Manager, Politiker und Ölbarone mit Gefängnis.


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Nach siebeneinhalb Jahren wird die 58-Jährige voraussichtlich heute ihre Ermittlungen abschließen. "Es ist die zweifellos bedeutendste Finanzaffäre, die je in Europa untersucht worden ist", sagt sie. Im kommenden Jahr soll der Mammutprozess beginnen.

Als Joly im August 1994 die ersten Akten durchforstete, ging es zunächst nur um die ominöse Übernahme des Textilunternehmens Bidermann durch Elf. Später, als die Akten immer dicker wurden, erhielt Joly Verstärkung von den Richtern Laurence Vichnievsky und Renaud van Ruymbeke. Das gefürchtete Trio ermittelte über die Jahre gegen insgesamt rund 40 mutmaßliche Drahtzieher und Profiteure des weltumspannenden Systems des staatlichen Ölmultis. Auf vier Milliarden Franc (610 Millionen Euro/8,39 Mrd. S) wird die Summe geschätzt, die im Elf-Imperium zwischen 1989 und 1993 unterschlagen, veruntreut oder als Bestechungsgeld weltweit verteilt wurde; die deutsche Leuna-Affäre mit Kommissionen von rund 80 Millionen Mark ist da nur ein kleiner Teil.

Anklage 2003 möglich

Der einstige Elf-Chef Look Le Floch-Prigent, der nach langer Flucht verhaftete Schwarzgeldmanager Alfred Sirven, "Monsieur Afrique" Andre Tarallo, der Geschäftsmann Andre Guelfi oder auch Ex-Innenminister Charles Pasqua - ihnen drohen im Jahr 2003 Anklage und Gefängnis. Dabei wird es um größere Beträge gehen als im ersten Elf-Prozess, bei dem die Eskapaden von Ex-Außenminister Roland Dumas und seiner früheren Geliebten Christine Deviers-Joncour auf Konzernkosten im Mittelpunkt standen.

Elf Aquitaine stand für schwarzes Gold und schwarze Kassen und diente jahrzehntelang der Regierung in Paris als Machtinstrument bei der Durchsetzung strategischer Interessen. Die Millionen-Bestechungen zur Erschließung der Ölfelder rund um den Globus wurden von der Staatsspitze abgesegnet. Mit der Privatisierung 1994 wollte die neue Konzernleitung einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen. Vor zwei Jahren ging der Elf-Konzern im noch größeren französisch-belgischen Unternehmen TotalFinaElf auf.

Europäerin des Jahres

Joly wurde wegen ihres "mutigen Einsatzes gegen Korruption auf höchster Ebene" vor kurzem von der Zeitschrift "Reader's Digest" als "Europäerin des Jahres 2002" geehrt. Ernüchtert zog sie Bilanz: "Zum Abschlachten freigegeben zu werden, nur weil man seine Arbeit macht - das ist unerträglich", sagte sie. "Indem versucht wird, der Öffentlichkeit weiszumachen, dass inkompetente und böswillige Richter das Problem sind, vergisst man, dass Kriminalität und Steuerhinterziehung das eigentliche Problem sind." Um die Anfeindungen in ihrem Amt zu ertragen, brauche man eine Haut, "so dick wie die von Krokodilen".

Eva Joly ist gebürtige Norwegerin und hieß Gro Farseth, als sie 1964 als Au-pair-Mädchen nach Paris ging. Sie heiratete den Sohn ihrer Gasteltern und blieb für immer. Anfang der 80er Jahre begann sie als Richterin in Orleans, 1992 übernahm sie die Pariser Ermittlungsbehörde für Finanzdelikte - ein damals noch schäbiges Amt ohne Glanz und ohne Macht. Heute ist Joly eine der populärsten Frauen Frankreichs, nicht wenige Franzosen sähen sie sogar gerne als Präsidentin. "Politiker müssen integer sein, dazu sind sie verpflichtet", so die Richterin. AFP