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Eine kurze Romanze mit bitteren Folgen

Von Walter Hämmerle

Analysen

Die Flüchtlingskrise begann als Traum von einer besseren Welt und mündete in eine schwere politische Depression.


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Nichts ist leichter, als im Nachhinein alles besser zu wissen. Sehr viel schwieriger ist es, Entscheidungen unter enormen Druck treffen zu müssen und die Auswirkungen nicht absehbar sind.

Im Spätsommer 2015 strömten innerhalb kurzer Zeit hunderttausende Menschen vornehmlich, aber nicht nur aus den Krisengebieten des Nahen Ostens über die Balkanroute nach Mitteleuropa. Schlecht vorbereitet und wohl auch überwältigt von den Berichten und Bildern in den Massenmedien, die Familien mit Kindern auf der Suche nach einem besseren Leben zeigten, entschloss sich Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel - und in ihrem Gefolge auch die österreichische Regierung -, die bestehenden europäischen wie nationalen Asyl- und Grenzregime außer Kraft zu setzen und die Menschen durchzuwinken (vor allem Österreich) und willkommen zu heißen (insbesondere Deutschland).

Tausende Bürger engagierten sich begeistert und unterstützen in Eigenregie oder im Verbund mit Hilfsorganisationen die Ankommenden und Weitereisenden. Die Medien waren ganz nah mit dabei. Allesamt hatten das Gefühl, an etwas Großem und - das vor allem - Gutem teilzuhaben. Der Spätsommer des vergangenen Jahres war für eine Minderheit in Mitteleuropa ein romantisches Rendezvous mit der Globalisierung. Die Politik war dabei eher Getriebener als souveräner Akteur. Die Hamburger "Zeit" bringt das auf den Punkt mit ihrem aktuellen Titel über die damaligen Ereignisse: "Die Nacht, in der Deutschland die Kontrolle verlor".

Faktisch hatte die Politik wohl kurzfristig keine andere Wahl, als die Masse an Flüchtlingen ins Land zu lassen. Die Grenzen zum damaligen Zeitpunkt dichtzumachen, hätte die reale Gefahr gewalttätiger Ausschreitungen zur Folge haben können. Der Verzicht auf eine lückenlose Registrierung, wer da genau warum nach Österreich, Deutschland oder Skandinavien wollte, war eine schwerwiegende Fehlhandlung, die man auch schon zum damaligen Zeitpunkt als solche hätte erkennen können. Wenn man gewollt hätte.

Das romantische Rendezvous zwischen Willkommenskultur und Flüchtlingsbewegung endete nicht abrupt, sondern schleichend. Etwa als klar wurde, welches Sicherheitsrisiko ein völlig unkontrollierter Zugang nach Europa bedeutete, dass tatsächlich auch Terroristen auf diesem Weg in unsere Mitte kamen, kurz: als die realen Probleme bei der Wahrnehmung die Oberhand über die potenziellen Chancen erlangten. Und endgültig, als - stellvertretend für etliche andere Ereignisse - die Silvesternacht von Köln über uns hereinbrach.

Seitdem versucht die Politik in Deutschland, Österreich und Brüssel den Bürgern klarzumachen, dass sie verstanden haben, dass sich die Ereignisse des Spätsommers 2015 nicht noch einmal so wiederholen dürfen. Das Vertrauen in die Eliten ist trotzdem erschüttert, und davon sind auch die etablierten Medien betroffen. Und die Folgen sind unübersehbar: In Österreich rangiert die FPÖ laut Umfragen stabil auf Platz eins, und Deutschland hat nun mit der AfD selbst eine rechtspopulistische Partei jenseits der Zehn-Prozent-Marke.