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Eine lange, eigenartige Reise

Von WZ-Korrespondentin Veronika Eschbacher

Politik

Mehr als 200 Frauen haben sich im Laufe der US-Geschichte für die Präsidentschaft beworben.


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Los Angeles. Es ist Mitte Oktober 2016, alle Augen sind auf Las Vegas gerichtet, wo die dritte Präsidentschaftsdebatte läuft. Die Demokratin Hillary Clinton spricht über ihre Pläne zum Sozialversicherungssystem. In einem Nebensatz erteilt sie ihrem republikanischen Kontrahenten, Donald Trump, einen Seitenhieb. Sie spielt darauf an, dass er es in der Vergangenheit vermieden hatte, Steuern zu zahlen. Daraufhin lehnt sich Trump vor und murrt vier Worte ins Mikrofon. "Such a nasty woman", sagt er - so eine garstige Frau - und schüttelt lange missbilligend den Kopf.

Clinton lässt sich davon nicht eine Sekunde aus dem Konzept bringen. Sie verzieht keine Miene - genauso wie viele Frauen vor ihr am Weg ins Weiße Haus unzählige derartiger Kommentare geflissentlich ignorierten.

Über 200 Frauen haben sich im Laufe der amerikanischen Geschichte für das US-Präsidentschaftsamt beworben. Und ihre Erfahrungen zeigen, was für eine lange, eigenartige Reise es für amerikanische Frauen in das Weiße Haus ist.

Woodhull stolperte über Moral

Diese Reise beginnt lange noch, bevor Frauen in den USA das Wahlrecht haben. Denn ein halbes Jahrhundert, bevor der 19. Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung aus der Taufe gehoben wurde, mit dem im Jahr 1920 Frauen das vollständige Wahlrecht auf allen Ebenen erhielten, nominierte sich Victoria Woodhull selbst für das US-Präsidentschaftsamt. Die 1838 in Ohio geborene, erste Frau mit Ambitionen auf das Weiße Haus war eine durch und durch außergewöhnliche Person. Die zwei Mal verheiratete Börsenmaklerin verdingte sich als Hellseherin, trat für freie Liebe ein und druckte in ihrer Wochenzeitschrift die erste englischsprachige Fassung des Kommunistischen Manifestes in den USA ab. Ende 1870, acht Monate nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur, forderte sie durch die Veröffentlichung eines "Memorials" vom US-Senat die Umsetzung des aus ihrer Sicht verfassungsmäßigen Frauenwahlrechts. Sie schaffte es sogar, ihre Petition im Ausschuss für Rechtsfragen des Repräsentantenhauses vor acht Ausschussmitgliedern selbst vorzutragen - und erregte als erste Frau, die vor einem Ausschuss auftrat, öffentliches Aufsehen. Die Petition wurde, wie erwartet, zurückgewiesen. Woodhull gab aber nicht auf, führte über zwei Jahre lang Wahlkampf und versuchte andere Kniffe. Die formale Nominierung zur Wahl 1872 ließ sie sich von einer selbst mitgegründeten Partei bescheinigen. Als Vizepräsidenten hatte die für Gleichberechtigung der Afroamerikaner eintretende Woodhull einen ehemaligen Sklaven ausgewählt. Zur Wahl wurde sie nicht zugelassen, und viele anfängliche Unterstützer hatten ihr mit der Zeit den Rücken gekehrt, vor allem wegen ihrer Moralvorstellungen. Und schließlich misslang auch Woodhulls Vorhaben, demonstrativ an der Wahl teilzunehmen: Den Wahltag 1872 verbrachte sie wegen eines sexuell anstößigen Artikels in Haft.

1940 begann die nächste Amerikanerin, Frauen in der Politik den Weg zu bahnen.

Smiths Witwenmandat

Margaret Chase Smith aus dem Bundesstaat Maine wurde durch das sogenannte Witwenmandat Abgeordnete im US-Kongress: Da ihr Ehemann im Amt verstarb, konnte sie sein Mandat im Repräsentantenhaus übernehmen. Danach stellte sie sich erfolgreich zur Wahl und wurde acht Jahre später, als sie in einem aufsehenerregenden Wahlkampf den amtierenden sowie den ehemaligen Gouverneur von Maine aus dem Rennen warf, in den Senat gewählt. So war Smith die erste Frau in der Geschichte des Kongresses, die in beide Kammern gewählt wurde. Smith galt als emanzipierte Frau, die stets ihre eigene Meinung vertrat. Als sie 1938 ihren bereits kränkelnden Mann vertrat, der klar anti-interventionistisch eingestellt war, gab sie Reden, die diametral entgegenstehende Ansichten propagierten - in diesem Fall für die Aufstockung des Militärbudgets. Auch die Parteilinie war der Republikanerin zumeist einerlei - so sehr, dass einer ihrer Kollegen einmal sagte, es wäre ein "Zufall", wenn Smith gleich wie die Partei abstimme. Über Jahre hinweg war Smith die einzige Frau im Senat. Sie musste eine öffentliche Toilette benutzen, da es keine Damentoilette gab. Einladungen des Weißen Hauses verweigerte sie, da diese nie eine männliche Begleitung inkludierten. Auch wenn sie die aufgrund ihres Geschlechts erzwungene Einsamkeit getroffen hätte, so stellte sie dies nicht zur Schau. "Ich habe jegliche Art von Diskriminierung ignoriert", wird Smith zitiert. "Ich habe das niemals, niemals anerkannt. Niemals."

1964, ein Jahr nach der Ermordung John F. Kennedys, kandidierte die außerordentlich erfahrene Politikerin in den Vorwahlen zur Präsidentschaft. Smith bekam bei der Konvention der Republikaner in San Francisco jedoch nur den fünften und letzten Platz an Stimmen. Dass ihr Antreten praktisch keine Spuren hinterließ, lag wohl auch daran, dass die 1897 geborene Frau für viele in den von Kennedy geprägten USA aus einer inzwischen völlig anderen Ära zu stammen schien - der gerade verstorbene Präsident Kennedy war immerhin zwanzig Jahre nach Smith geboren worden.

Der Kampf gegen Vorurteile

Nur vier Jahre, nachdem mit Smith die erste Frau bei einer Konvention einer Großpartei in der Liste der Nominierten aufschien, wurde die Demokratin Shirley Chisholm als erste schwarze Frau in den Kongress gewählt. Die 1924 in Brooklyn geborene Lehrerin, die politische Erfahrungen aus der New York State Assembly nach Washington mitbrachte, verlangte 1970 den Rücktritt von Edgar Berman aus dem Platform Comitee der Demokratischen Partei. Berman hatte zuvor erklärt, Frauen könnten aufgrund ihrer Menstruationszyklen nie effektive Präsidentinnen sein. "Was wäre, wenn wir eine Präsidentin in der Menopause hätten, die eine Entscheidung wie die rund um die Invasion der Schweinebucht treffen muss?", hatte er gefragt. Eine weibliche Präsidentin könnte den "seltsamen mentalen Irrungen" dieser Altersgruppe unterliegen. Davon unbeeindruckt kandidierte Chisholm weniger als zwei Jahre später für das Präsidentenamt - und konnte sich noch mehr derartiger Vorbehalte anhören. Ihre Kandidatur sei "weltfremd", sie befände sich auf einem Ego-Trip und würde keine sechs Wochen Wahlkampf überleben, ließen ihr andere Politiker, meist anonym, über Medien ausrichten. Chisholm frustrierte aber auch der Sexismus vermeintlich progressiver Kollegen oder mancher ihrer feministischen Mitstreiterinnen, von denen sie sich mehr Unterstützung in ihrem historischen Rennen um das demokratische Präsidentschaftskandidatenticket erhofft hatte. Sie konnte schließlich 152 Delegiertenstimmen gewinnen, verlor aber die Kandidatur.

44 Jahre später, im heurigen Juli, hat Hillary Clinton als erste Frau die Nominierung zur Präsidentschaftskandidatur für eine Großpartei gewonnen. In diesem Jahr 2016 könnte es sein, dass Sexismus nicht eine weibliche Kandidatin verhindert, sondern sie ins Weiße Haus hievt. Neben den regelmäßig wiederkehrenden frauenfeindlichen Aussagen Donald Trumps, die ihn bereits viel Wählergunst kosteten, ging auch die Titulierung Clintons als "garstige Frau" nach hinten los. In kürzester Zeit entwickelte sich in den USA ein beispielloser Solidaritätsaufruf im Netz, der viral ging. Manche Analysten bezeichneten die Beleidigung als das Beste, das der Clinton-Kampagne passieren konnte. Und seither sieht man auch Männer an kalifornischen Stränden spazieren, auf deren T-Shirts steht: "Nasty Woman Make History" - Garstige Frauen schreiben Geschichte.