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Eine lange Geschichte geht zu Ende

Von Brigitte Pechar

Analysen

Die Schwächung des ÖGB hat Auswirkungen auf die Sozialpartnerschaft. | Den Streikfonds gibt es nicht mehr. | Bawag-Verkauf rettet ÖGB vor Konkurs. | Wien. Das Jahr 2006 brachte eine Zäsur für die österreichische Gewerkschaftsbewegung. Jahrzehntelang hing das ganze Land dem sagenumwobenen Mythos vom Milliarden schweren Streikfonds des ÖGB nach. Daraus und aus der Macht der handelnden Akteure leitete sich auch die relative Ausgewogenheit und Stärke der Sozialpartnerschaft ab, die bereits Ende der 90er Jahre zu bröckeln begonnen hatte, und nun für immer dahin zu sein scheint.


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Verzetnitsch setztegesamtes Vermögen ein

Ein Schock ging durch das Land als im März 2006 bekannt wurde, dass Fritz Verzetnitsch, der 19 Jahre lang an der Spitze des ÖGB stand und in den Medien häufig als Ersatz für Alfred Gusenbauer an der Spitze der Sozialdemokratie gehandelt worden war, das gesamte Gewerkschaftsvermögen als Garantie für die am Rande des Ruins stehende gewerkschaftseigene Bawag eingesetzt hatte.

Die Bank hatte bereits zwischen 1995 und 2000 bei Spekulationsgeschäften mit dem Sohn des früheren Bawag-Chefs Walter Flöttl, Investmentbanker Wolfgang Flöttl, eine Milliarde Euro in den Sand gesetzt. Insgesamt hat die Bawag einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro eingefahren, der Gesamtschaden des ÖGB liegt bei mehr als 2 Milliarden Euro. Besonders schwierig gestaltete sich die Aufarbeitung durch mehr als 120 Stiftungen in Liechtenstein. Undurchsichtig ist nach wie vor die Rolle des damaligen Bawag-Generaldirektors Helmut Elsner, der sich in Frankreich aufhält und aus gesundheitlichen Gründen die Gerichtstermine in Österreich nicht wahrnimmt.

Obwohl Verzetnitsch anfangs damit argumentiert hatte, dass es keinen anderen Weg gegeben habe, die Bank zu retten, wurde der Druck auf ihn nicht zuletzt wegen des anlaufenden Nationalratswahlkampfes immer größer. Am 27. März erklärte er seinen Rücktritt, setzte aber als seinen Nachfolger einen Vertrauten ein: den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, Rudolf Hundstorfer. Dieser konnte aber nach Bekanntwerden der Machenschaften in Bawag und ÖGB seinen Freund nicht mehr retten: Am 30. April wurde die Entlassung von Verzetnitsch ausgesprochen.

Die Frage ist, wie es dazu kommen konnte, dass einige wenige das gesamte Vermögen des einst mächtigen ÖGB aufs Spiel setzen konnten. Das hängt natürlich einerseits mit den hierarchischen Strukturen, einer völlig undurchschaubaren Bürokratie und völlig überkommenen Abläufen zwischen ÖGB und Teilgewerkschaften zusammen. Und natürlich auch damit, dass in der Gewerkschaftsbewegung sehr oft die Ja-Sager Spitzen erklimmen, während kritische Geister zwar die Niederungen der Gewerkschaftsarbeit erledigen dürfen, aber intern wenig zu sagen haben.

Große ÖGB-Reform wurde zum Reförmchen

Die Beinahe-Pleite des ÖGB, die im Dezember durch den Verkauf der Bawag an die US-Fondsgesellschaft Cerberus um 3,2 Milliarden Euro (davon gehen 2,6 Milliarden an den ÖGB), doch noch abgewendet werden konnte, führte nicht zu einer logischen Strukturbereinigung.

Zwar wurde zu Beginn der Krise eine große ÖGB-Reform angekündigt - eine Mitgliederbefragung und Reformarbeitskreise waren die Folge -, das Ergebnis war aber dürftig: Der Berg hat gekreißt und ein Mäuschen wurde geboren.

Einer großen Reform stehen vor allem einige mächtige Teilgewerkschaften entgegen. Am stärksten sträuben sich die Metaller- und die Beamtengewerkschaft, Macht zugunsten einer durchschlagskräftigen und einheitlich agierenden Interessenvertretung abzugeben. Sie verweisen dabei nicht ganz unbegründet auf ihre Erfolge in der Lohnpolitik für ihre Mitglieder.

Besonders einfach haben es eben jene Teilgewerkschaften, deren Mitglieder großteils pragmatisierte Dienstnehmer sind - sie sind auch diejenigen, die am ehesten gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen einsetzen. Meist zum Schutz der sogenannten wohlerworbenen Rechte.

Die vielzitierte Solidarität findet dann ein Ende, wenn es um die Durchsetzung der Interessen der Schwächsten geht, nämlich der atypisch Beschäftigten, die bereits fast ein Drittel der Arbeitnehmer in diesem Land stellen. Ansätze zu deren adäquater Vertretung gibt es seit längerem vor allem in der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA/DJP), die sich aber ansonsten im großen Reigen mit ihren Ideen einer starken Gewerkschaft, die nach Branchen gegliedert sein soll, nicht durchsetzen kann.

Eine stärkere Bedachtnahme auf neue Berufsgruppen, auf die geänderte Arbeitswelt mit der immer größer werdenden Zahl der Teilzeitbeschäftigten und vor allem eine Abkehr von der völligen Ausgrenzung der Frauen nicht nur aus Führungsgremien sind ein Muss, will der ÖGB nicht nur den rasanten Mitgliederschwund stoppen, sondern wieder ein Player in einer neuen Sozialpartnerschaft werden.

Nebenregierungen sind ohnehin nicht erwünscht. Aber nichts hindert die Gewerkschaften daran, neue Forderungen massiv in den Diskurs einzubringen.