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Eine lange Wahlnacht im Wechselbad der Gefühle

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Washington - Um Viertel nach 8 am Mittwochmorgen (MEZ) - in Washington war es gerade 15 Minuten nach 2 - feierte der amerikanische Nachrichtensender CNN den republikanischen Gouverneur von Texas, George W. Bush, als neuen Präsidenten der USA und blamierte sich damit zum zweiten Mal innerhalb einer überlangen Wahlnacht. Die nun Bush zugesprochenen 25 Wahlmänner aus Florida waren nämlich schon um 1.50 Uhr dem demokratischen Kandidaten Al Gore zugeteilt worden, knapp vor 4 Uhr früh waren sie dann wieder als unsicher aus dem Rennen genommen worden und der bis dahin führende Gore fiel erneut hinter Bush zurück.


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Es war ein Wechselbad der Gefühle, dem Millionen Fernseher in aller Welt und vor allem die Anhänger von Bush in Austin und von Gore in Nashville ausgesetzt waren, die im strömenden Regen ausharrten und auf den Sieg ihres Kandidaten warteten.

Die ersten Wahlmänner - 12 aus Indiana und 8 aus Kentucky - waren nach den Hochrechnungen kurz nach Mitternacht erwartungsgemäß an Bush gefallen. Als im heftig umkämpften Florida um ein Uhr die Wahllokale schlossen, traute sich wegen des knappen Wahlausganges, der sich auch in anderen Bundesstaaten abzeichnete, niemand eine Hochrechnung zu erstellen. Ein Bundesstaat nach dem anderen ging dann an Bush, der es in der Zwischenzeit auf 54 Wahlmänner brachte. Gore musste sich bis knapp vor 2 Uhr mit den drei Elektoren der Bundeshauptstadt zufrieden geben. Dann wurden ihm kurz hintereinander die Wahlmänner in den umstrittenen Bundesstaaten Florida, Michigan und Pennsylvania in den Hochrechnungen zugesprochen. In Nashville herrschte Hochstimmung, in Austin wurden die Gesichter immer länger. Dass Gore sein Heimatstaat Tennessee in der Zwischenzeit ziemlich sicher abhanden kam, konnte man im demokratischen Lager angesichts des sicher scheinenden Sieges in Florida verschmerzen. Als um drei Uhr aus New York die Nachricht eintraf, dass First Lady Hillary Clinton ihren Senatssitz erdrutschartig gewonnen hatte, schienen auch die Karten für Al Gore sehr günstig gemischt zu sein. Dass 21 Wahlmänner aus Ohio an Bush fallen würden, damit hatte man gerechnet, dafür fiel Minnesota ins demokratische Lager.

Knapp vor 4 kam dann die kalte Dusche für Gore. Bush reklamierte die 25 Wahlmänner aus Florida für sich, vom Konto Gores wurden 25 Punkte abgezogen, die wieder als unsicher galten und es mehr als vier Stunden lang bleiben sollten. Als sich der Gouverneur aus Texas auch die als sicheres demokratisches Besitztum geltenden vier Wahlmänner aus New Hampshire und fünf aus West Virginia holen konnte und dazu noch 11 aus Missouri, begannen im demokratischen Hauptquartier langsam die Alarmglocken zu läuten.

5 Wahlmänner aus New Mexiko, 54 aus Kalifornien und 4 aus Hawai brachten Gore zwar wieder mit 230:217 in Führung, immer deutlicher zeichnete sich jedoch ab, dass Florida wahlentscheidend sein würde und Bush hatte nach allen Zwischenergebnissen die Nase leicht vorn. Bill Clintons Heimatstaat ging wie befürchtet an Bush verloren und gegen acht Uhr früh (2 Uhr in Washington) lautete die Wahlmännerverteilung 249:246 für Gore. Im Repräsentantenhaus zeichnete sich ein Halten der republikanischen Mehrheit, im Senat eine Pattsituation ab.

Der ungeheure Jubel darüber, dass die Witwe des vor kurzem tödlich verunglückten Mel Carnahan den Senatssitz für Missouri erobert hatte, war in Nashville kaum verklungen, als die Hiobsbotschaft via CNN kam: Bush konnte Florida erobern und damit das Weiße Haus. Gore hatte schon gratuliert und machte sich für seine Erklärung bereit, als bekannt wurde, welch knappes Ergebnis sich in Florida abzeichnete bevor noch alle Stimmen ausgezählt waren. In Nashville begann man wieder zu hoffen.