Von hochwertiger, erschwinglicher Pflege profitiert die ganze Gesellschaft.
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Fünf Tage vor der Rede der EU-Kommissionspräsidentin zur Lage der Union erinnern wir an eine wichtige Zusage aus der Vorjahresrede: eine Europäische Strategie für Pflege und Betreuung. Schätzungsweise ein Drittel aller Europäerinnen und Europäer hat Betreuungs- oder Pflegepflichten, und mehr als 9,1 Millionen Menschen - in der Mehrzahl Frauen - sind im Pflegesektor beschäftigt.
In der EU streben wir nach einer Gesellschaft, in der alle - ob Jung oder Alt - unabhängig von ihren körperlichen Fähigkeiten die gleichen Chancen haben, ihre Lebensziele zu verfolgen. Unser Ziel ist es daher, den Wert sowohl der professionellen als auch der informellen Pflege stärker anzuerkennen und dafür zu sorgen, dass alle Menschen Zugang zu hochwertigen Betreuungs- und Pflegediensten haben.
Eine hochwertige, zugängliche und erschwingliche Pflege und Betreuung bietet Frauen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und erlaubt ihnen, ihren Berufswünschen nachzugehen. Derzeit werden rund 7,7 Millionen Frauen und 450.000 Männer in der EU durch informelle Pflege- und Betreuungspflichten an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehindert.
Es bedarf hochwertiger Pflege und Betreuung auf allen Lebensstufen. Frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung fördern die Entwicklung von Kindern, senken das Risiko sozialer Ausgrenzung und ermöglichen einen gleichberechtigten Start ins Leben. Mehr passende Pflege- und Betreuungsmöglichkeiten in Europa werden dazu beitragen, Familien von Kindern mit Behinderungen zu entlasten, von denen derzeit die Hälfte ausschließlich von ihren Eltern betreut wird.
Im Zuge der am 7. September vorgestellten neuen Europäischen Strategie für Betreuung und Pflege schlägt die EU-Kommission vor, die Barcelona-Ziele für Kinderbetreuung zu ändern. Künftig sollen statt wie bisher 33 mindestens 50 Prozent der Kinder unter drei Jahren frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung bekommen. In Österreich liegt die Quote bei 23 Prozent. Obwohl in den vergangenen 20 Jahren auf EU-Ebene Fortschritte erzielt wurden, bestehen nach wie vor enorme Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (6 bis 66 Prozent). Dank der ehrgeizigen, aber realistischen neuen Ziele wollen wir echte Fortschritte in allen EU-
Staaten und Regionen erreichen.
Verbesserte Langzeitpflege
Unsere Europäische Strategie für Betreuung und Pflege sieht außerdem konkrete Empfehlungen für eine verbesserte Langzeitpflege vor. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es ohne ein krisentaugliches Pflegesystem nicht geht. Angesichts des demografischen Wandels in Europa und der Bevölkerungsalterung dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen von rund 30 Millionen im Jahr 2019 auf fast 40 Millionen im Jahr 2050 steigen. Rund 52 Millionen Menschen in Europa leisten informelle Langzeitpflege für Familienangehörige oder Freunde.
Eine hochwertige und erschwingliche Langzeitpflege kommt insbesondere Älteren und Menschen mit Behinderungen zugute, weil sie Autonomie und ein Leben in Würde ermöglicht. Der personenzentrierte Ansatz der Strategie zielt daher darauf ab, den Menschen bedarfsgerechte Dienstleistungen anzubieten. Wir erwarten von den Mitgliedstaaten, dass sie professionelle Langzeitangebote wie häusliche Pflege, gemeindenahe Pflege und Heimbetreuung ausbauen und breiter aufstellen. Gut in die Gesundheitsversorgung eingebundene Langzeitpflegedienste können zur Entlastung von Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen beitragen.
Angesichts des dramatischen Pflegekräftemangels müssen wir die Ursachen des Problems angehen und für bessere Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Ausbildung sorgen. Mehr als 9,1 Millionen Menschen in der EU - 90 Prozent davon Frauen - sind derzeit in der Pflegebranche tätig. Bis 2050 braucht es mindestens 1,6 Millionen zusätzliche Pflegekräfte, um die Langzeitpflege auf dem derzeitigen Niveau zu halten, das bekanntlich nicht immer ausreichend ist.
Um das Ziel einer gleichberechtigten und gerechten Gesellschaft zu erreichen, müssen wir umdenken und den Menschen die entsprechenden Möglichkeiten bieten. Sie müssen ihre beruflichen und familiären Pflichten schließlich unter einen Hut bringen können. Jedes Kind muss Zugang zu hochwertiger Kinderbetreuung erhalten. Jede ältere Person und jede Person mit Behinderung muss die passende Unterstützung und hochwertige Pflegeangebote erhalten. Die Tätigkeit der Pflegekräfte muss anerkannt werden. Die Menschen brauchen vernünftige Optionen für eine lebenswerte Zukunft. Investitionen in Pflege und Betreuung lohnen sich. Es ist höchste Zeit.