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Eine merkwürdige Diskussion

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

In den meisten gesundheitspolitischen Themen sind wir, wenn überhaupt, auf dem Niveau der 1970er Jahre. Das wird zunehmend skurriler.


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Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, wird aktuell in Österreich darüber diskutiert, ob das Beveridge- oder das Bismarckmodell besser ist.

Beim Bismarckmodell geht es darum, dass Krankenkassen für die Krankenversorgung zuständig sind. Diese Kassen liegen in den Händen von sozialpartnerschaftlich organisierten Sozialversicherungen, die sich ausschließlich aus Beiträgen finanzieren. Im Beveridgemodell sind es demokratisch legitimierte Politiker, die für die Krankenversorgung sorgen müssen und dafür Steuern verwenden.

Die Diskussion über die beiden Systeme ist selbst unter Akademikern obsolet, und zwar deswegen, weil es international keine reinen Formen mehr gibt. Alle haben sich beim anderen etwas abgeschaut und es gibt nur noch Hybride. Ernsthafte Diskussionen beschäftigen sich heute daher auch nur mit der Frage, welche Mischung wohl die vernünftigste wäre. Aber in Österreich lassen das die mächtigen Sozialpartner nicht zu, und sprechen - wissend oder, was noch schlimmer wäre, unwissend - weiter von der reinen Lehre!

Von einem reinen Bismarckmodell zu sprechen, ist aber schon deswegen obsolet, weil die Krankenversorgung hierzulande sich ausschließlich mit der kurativen Behandlung beschäftigt und andere Bereiche längst "ausgegliedert" wurden. So haben sich die Kassen 1976 aus der Pflege zurückgezogen, aus der stationären Versorgung 1985, aus den Spitalsambulanzen 1995, die Rehabilitation gehört der Pensionsversicherung, die Prävention Bund und Ländern.

Noch merkwürdiger wird die Argumentation der reinen Lehre, wenn man genau schaut. Denn dann kann man feststellen, dass die Kassen längst nicht mehr beitragsfinanziert sind. Natürlich sind Beiträge die wichtigste Einnahmequelle, aber bei weitem nicht ausschließlich.

12,8 Milliarden Euro haben die Kassen im Jahr 2007 in Summe eingenommen. Davon entfielen nur 10,7 Milliarden auf Beiträge. Neben E-Card- und Rezeptgebühren stammte mit 1,1 Milliarden Euro der Großteil der Differenz aus Steuermitteln. Doch ist das nicht alles. Denn auch in den Beiträgen steckt eine ganze Menge Steuergeld. Hier waren mit 1,3 Milliarden Euro der größte Brocken die Hebesätze (eine Art steuerfinanzierter virtueller Arbeitgeberbeitrag für Pensionisten, die ja keinen Arbeitgeber mehr haben). Alles zusammen, stammten fast 3 Milliarden Euro der Einnahmen aus Steuern und gerade einmal 9 Milliarden Euro sind wirklich "reine Beiträge".

Wenn man nun betrachtet, dass die öffentlichen Ausgaben in unserem Gesundheitssystem 20 Milliarden Euro ausmachen, dann ist also nicht einmal mehr die Hälfte beitragsfinanziert. Von einem reinen Bismarckmodell ist längst nichts mehr übrig. Und dass unsere Kassenbeiträge verglichen mit Deutschland, in dem Bismarck noch viel "sauberer" gelebt wird, halb so hoch sind, wird damit auch verständlich.

Weil aber die Entscheidungsträger bei der reinen Lehre bleiben wollen (hauptsächlich um die eigene Macht zu erhalten), ist es unmöglich, dass zwischen dem steuerfinanzierten und dem beitragsfinanzierten Teil ein gemeinsamer Weg gefunden wird. Die damit verbundenen Schnittstellenprobleme führen zwar, neben echten Qualitätsproblemen, zu enormen Mehrkosten, aber solange diese Lücke durch Selbstbehalte gefüllt und der Mythos des besten Systems aufrechterhalten werden kann, wird es den Mächtigen kaum nötig scheinen, über ihren Schatten zu springen und sich auf ein "neues" System zu einigen - oder wenigstens einmal ehrlich darüber zu diskutieren.