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Es ist ein dunkles Szenario, das der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski am Donnerstag in Warschau skizziert hat: Weil sich die Interessen der USA vermehrt in den pazifischen Raum verlagert hätten und Washington von der Unwilligkeit der EU-Staaten, ihre Verteidigungsbudgets ausreichend zu dotieren, genervt sei und weil die EU infolge der Krise und unterschiedlicher Zukunftskonzepte ihrer Mitglieder zerfalle, stehe Polen bald alleine da - gegenüber einem immer machthungrigeren Russland.
Nun ist bekannt, dass Sikorski Russland gegenüber alles andere als freundlich gesinnt ist. In den 80er Jahren soll er in Afghanistan an der Seite der Mujaheddin gegen die Sowjets gekämpft haben. Heute ist Sikorski ein Transatlantiker durch und durch. Eine Nato ohne die USA wäre für ihn ein Albtraum. Allerdings dürften seine Befürchtungen ohnehin unbegründet sein.
Es stimmt zwar, dass "Europe first" passé ist und Washingtons Fokus auf anderen Regionen liegt, allerdings können die USA auf die Europäer nicht verzichten. Zum einen sind es europäische Truppen, die die US-Streitkräfte bei aktuellen (Afghanistan) und künftigen Aufgaben unterstützen. Und zum andern ist ein US-Raketenschild in Osteuropa dann leichter durchzusetzen, wenn die USA in den betroffenen Ländern als Nato-Bündnispartner auftreten.
Unter Präsident Barack Obama hat der Raketenschild, der sich offiziell gegen den Iran und nicht gegen Russland richtet, zwar an Bedeutung verloren, vom Tisch ist er allerdings nicht - auch wenn Obamas Äußerung gegenüber Russlands Präsident Dmitri Medwedew (Stichwort: Mikrofon-Panne) diesen Verdacht nährt.
Aber was wäre, wenn die USA die Nato doch verließen? Hier hat Sikorski den Finger auf ein tatsächliches Problem gelegt. Eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik gibt es nämlich nur auf dem Papier und in bedeutungsschwangeren Reden. In der Realität sind alle Staaten auf die Nato fixiert.
Franco Algieri vom "Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik" vergleicht das mit dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern. Über Jahre seien Fortschritte in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Gasp) gelobt worden, die es tatsächlich gar nicht gegeben habe. Das habe aber kein Staat wahrhaben wollen, weil er sonst selbst in Erklärungsnot geraten wäre. Eine Nato ohne USA würde dies entlarven.