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Eine neue Republik rückt näher

Von Walter Hämmerle

Analysen

Hofburg-Wahl: Das Rennen um den Einzug in die Stichwahl entwickelt sich zum Dreikampf ohne Rot und Schwarz. Eine Analyse.


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Wien. Es gab einmal eine Zeit, als Wahlerfolge in der Politik direkt korrelierten mit den laufenden Kohorten und den dicken Portemonnaies der Parteien. Dieser Zusammenhang erodiert schon länger, und die wachsende Personalisierung und Boulevardisierung des politischen Wettbewerbs gibt ihm den Rest.

Man mag die massenmediale Inszenierung dieses Bundespräsidentenwahlkampfs unterhaltend und lebendig finden oder hart an der Grenze zur Lächerlichkeit. Aber die fast schon ungestüme Entschlossenheit aller Medienkanäle, auch noch die seltsamsten Charakterzüge der Kandidaten für das höchste Amt im Staat ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren, hat schon jetzt dem Wahlkampf ihren Stempel aufgedrückt. Die zahllosen Formate - vom klassischen Interview über launige Autofahrten bis hin zu den unterschiedlichsten Konfrontationssituationen - sorgen für eine mediale Dauerpräsenz aller Mitbewerber zwischen dem Rheintal im äußersten Westen und dem Tiefland ganz im Osten.

Außenseitern gehtnicht die Luft aus

Wem diese Entwicklung nützt, liegt auf der Hand: allen Kandidaten, die über schwächere Organisations- und Finanzpower verfügen, konkret also vor allem der parteiunabhängigen Irmgard Griss und - in geringerem Ausmaß - dem Grünen Alexander Van der Bellen. Griss werde, so mutmaßten zu Beginn des Wahlkampfs die Auguren, gegen Ende des Rennens die Kraft ausgehen. Zwei Wochen vor dem Wahltag hat es nun allerdings den Anschein, als ob die ehemalige Höchstrichterin bis ganz zum Schluss reale Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl am 22. Mai haben könnte. Wenn der Wahlkampf nicht noch eine überraschend-entscheidende Wende erfährt, entwickelt sich der Wettlauf um die beiden ersten Plätze am 24. April zu einem Dreikampf zwischen eben Griss, dem FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer und Van der Bellen. Die Leidtragenden heißen Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, die Kandidaten der rot-schwarzen Regierungskoalition, die in den Umfragen lediglich abgeschlagen auf den Plätzen vier und fünf rangieren - immerhin mit noch offenem Ausgang.

Die Zweite Republik würde, wenn die empirischen Momentaufnahmen bis zum Wahltag halten, ein neues Kapitel aufschlagen: Erstmals käme dann das neue Staatsoberhaupt nicht aus den Reihen von SPÖ oder ÖVP und könnte - in der Person von Irmgard Griss - sogar erstmals eine Frau als demokratisch legitimierte Hausherrin in den Präsidialtrakt der Hofburg einziehen.

Womöglich verändert ein solches Szenario auch die gelebte Praxis des höchsten Amtes selbst. Nach 1945 verzichtete jeder gewählte Bundespräsident darauf, die Befugnisse seines Amtes gegenüber der Regierung und dem Nationalrat auszutesten. Das Staatsoberhaupt war meist stummer Teil der rot-schwarzen Konsensdemokratie, der die politische Führungsrolle der Regierung anerkannte. Ein Bundespräsident, der nicht in dieser sozialpartnerschaftlichen Tradition politisch sozialisiert wurde, könnte durchaus den Ehrgeiz entwickeln, den Möglichkeiten seines Amtes Leben einzuhauchen.

SPÖ und ÖVP bereiten sich mental auf den Worst Case vor

Für SPÖ und ÖVP wäre allein schon die Aussicht auf eine solche Entwicklung eine Zäsur. Deren unmittelbare Folge bestünde zunächst darin, die historische Niederlage, den Einzug in die Stichwahl zu verpassen, zu verarbeiten. Wie konkret das ausschauen könnte, hat am Freitag ÖVP-Obmann Vizekanzler Reinhold Mitterlehner angedeutet, als er gegenüber der "Tiroler Tageszeitung" anmerkte, er werde im Falle einer Niederlage am 24. April die "Nerven bewahren". Nachdem davon auszugehen ist, dass geteiltes Leid halbes Leid ist und die SPÖ das ganz ähnlich betrachten wird, ist eher nicht mit unmittelbaren Turbulenzen in den Regierungsfraktionen zu rechnen. Eher schon werden SPÖ und ÖVP viel, wenn nicht alles, daransetzen, die ihnen verbleibende Zeit bis zum regulären nächsten Nationalratswahltermin im Herbst 2018 politisch möglichst optimal zu nutzen.

Der Symbolcharakter einer gemeinsamen rot-schwarzen Niederlage bei dieser Bundespräsidentschaftswahl wäre trotzdem epochal. Die Geschichte der rot-schwarzen Zweiten Republik wäre an ihr vorläufiges Ende gekommen. Die Deutungen im Falle eines grünen, blauen oder gar parteiunabhängigen Bundespräsidenten würden allerdings ebenfalls massiv auseinanderlaufen.