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Eine neue Terroristen-Generation

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Die neue Generation ist lockerer organisiert und arbeitet schlampiger. Aber sie ist auch schwerer aufzuspüren.


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Diesmal waren es Straßenverkäufer, die auf das Fahrzeug aufmerksam wurden und die Polizei verständigten, bevor die Bombe Schaden anrichten konnte. Zu Weihnachten war es ein aufmerksamer Flugpassagier, der half, den Selbstmordattentäter außer Gefecht zu setzen. Milliarden Dollar geben die US-Behörden aus und zwei Kriege werden geführt, um Terroristen in Schach zu halten. Aber wenn es wirklich darauf ankommt, Attentäter zu stoppen, die doch durch das Netz gerutscht sind, erweisen sich ganz normale Menschen als die wahren Helden. "Wenn du was siehst, sag was", dieser Leitspruch zeigt Wirkung.

Auch die offiziellen Reaktionen fallen viel unaufgeregter aus als früher. Statt sich selbst und das Land in Panik zu reden und in einen "Krieg gegen den Terrorismus", wie nach den Anschlägen vom 11. September 2001, wählte US-Präsident Obama eine maßvolle Ausdrucksweise: "Wir werden uns nicht angstvoll ducken. Wir werden nicht eingeschüchtert reagieren." Und New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg zeigte ebenfalls Haltung, indem er darauf bestand: "Wir werden keine Ungerechtigkeiten gegen pakistanische oder muslimische New Yorker dulden."

Dieser versuchte Anschlag ist eine Vorschau auf die Zukunft, sagte ein Terrorabwehrspezialist: Es handle sich um behelfsmäßiges Vorgehen einer neuen Generation von Terroristen, das von einer Kombination aus Hightech-Überwachung und privater Aufmerksamkeit durchkreuzt wurde. So sieht die Welt aus, in der wir für einige Zeit leben werden. Und wir können nur hoffen, dass immer genügend aufmerksame Mitmenschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind.

Experten warnen, dass sich der Terrorismus verändert hat. Die neue Generation ist lockerer organisiert und arbeitet schlampiger. Sie operiert weniger zentralisiert, ihre Anschläge sind weniger tödlich. Sie ist aber auch schwerer aufzuspüren und ihre Pläne sind leichter zu kopieren.

"Da geht eine regelrechte Auflösung vor sich", sagte ein Terrorabwehrexperte am Dienstag. Das alte Modell einer zentralen Kommando- und Kontrollstelle funktioniere nicht mehr wie früher: Heute sind von der al-Kaida unabhängige Einzelunternehmer am Werk. Sie sind in der Lage, sehr wirkungsvolle, sehr tödliche Operationen in ihrer eigenen Region auszuführen. Als sehr viel weniger wirkungsvoll erweisen sie sich allerdings, je weiter sie sich von ihrem Heimatrevier entfernen.

Der geplante Times-Square-Anschlag war amateurhaft, aber beruhigend ist das keineswegs. Dschihadisten lernen von ihren Fehlern. Sie werden jeden Irrtum, der passiert ist, genau untersuchen und jede erfolgreich angewandte Technik der US-Behörden.

Die New Yorker Polizei reagierte schnell und effizient. Auch die Hightech-Arbeit der Geheimdienste funktionierte gut. Der mutmaßliche Attentäter wurde festgenommen, bevor er die USA verlassen konnte. Diesmal passte alles zustimmen. So ist das geplant, aber es wird sich wohl nicht immer ganz so gut ausgehen.

Dieser Anschlag wurde durchkreuzt, aber die USA werden auch einmal weniger Glück haben. Al-Kaida und ihre Subunternehmen arbeiten ständig daran, Terroristen für Attentate in den USA zu rekrutieren. Und früher oder später wird einer Erfolg haben. Ein wirklicher Test für die Widerstandfähigkeit des Landes ist es nicht, wenn ein Terrorist einen Anschlag verpfuscht und alle sich auf die Schulter klopfen, sondern wenn einmal tatsächlich eine Bombe hochgeht.

Übersetzung: Redaktion Originalfassung Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".