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Dieser Brief des fiktiven Dr. Tuzzi soll auf die nicht unbeträchtlichen inländischen Ressourcen zur Erstellung einer neuen Staatsdoktrin hinweisen.
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Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Mitterlehner!
Nicht ohne Erstaunen habe ich von Ihrer Absicht gelesen, für Österreich eine neue Vision zu entwickeln. Diese Überraschung teilen auch die anderen Mitglieder des "Interministeriellen Komitees für Sonderfragen". Es scheint daher angezeigt, Ihnen unsere bisher mit der zu Gebote stehenden Diskretion und Zurückhaltung ausgeübte Tätigkeit höflich in Erinnerung zu rufen (oder zur Kenntnis zu bringen?).
Ich erlaube mir im Folgenden, die Entstehung des "Interministeriellen Komitees" und seine bisherige Aufgabenstellung (vgl. Jörg Mauthe: "Die große Hitze") sowie die Ergebnisse seiner Beratungen, soweit sie formuliert, respektive formulierbar sind, kurz zusammenzufassen:
Eine eigentliche Gründung fand, wie vom gelernten Österreicher nicht anders zu erwarten, nie statt. Es scheint sich ergeben zu haben, dass vor langer Zeit Beamte zweier Ministerien (wahrscheinlich im Minoritenstüberl) zur Klärung eines Problems zusammenkamen. Da sich bei dem Meinungsaustausch herausgestellt haben könnte, dass ein weiteres Ressort involviert werden müsste, wurden wohl der Kreis erweitert und schließlich in unregelmäßigen Abständen Sitzungen abgehalten. Nach erfolgter Klärung des Sachverhaltes (oder auch nach der Erkenntnis, dass das vorliegende Problem eben nicht gelöst werden könne) wurden die Beratungen eingestellt. Als neue Entwicklungen erneut einer ressortübergreifenden Betrachtung bedurften, erinnerte man sich der alten Kontakte und vereinbarte in adaptierter Zusammensetzung weitere Sitzungen.
Da die Tätigkeit an Tangenten der jeweiligen Kompetenzbereiche nicht nur großes Fachwissen, sondern auch einen Blick für das über- oder auch untergeordnete Ganze sowie Fingerspitzengefühl erfordert, darf in aller Bescheidenheit festgestellt werden, dass die dem Komitee von den jeweiligen Stamm-Ministerien zugeteilten Beamten die Crème ihrer Ressorts darstellen. Naturgemäß ist das "Interministerielle Komitee" in dieser Form nicht im Amtskalender der Republik zu finden - seine Existenz ist leider entweder gänzlich unbekannt oder in Vergessenheit geraten. Als Vorsitzender möchte ich daher vor allem im Sinne der Kostenreduktion darüber informieren, dass ich bereits 1972 vom damaligen Außenminister beauftragt wurde, im Komitee eine neue Staatsdoktrin - basierend auf dem Papstwort "Österreich ist eine Insel der Seligen. Die sozialen Verhältnisse und der innere Friede können vorbildlich für die ganze Welt sein" - auszuarbeiten.
Hier muss eingeräumt werden, dass wir zwar die Herren Nestroy, Schnitzler, Kraus, Musil und Weigel (unentgeltlich) konsultiert, bisher jedoch auf die Beiziehung sowohl ausländischer Agenturen als auch inländischer Zeitungsherausgeber verzichteten. Ich darf aber in aller Bescheidenheit bemerken, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten in einer beträchtlichen Anzahl von Sitzungen gute Fortschritte erzielten, wiewohl uns eine abschließende Betrachtung noch verfrüht erscheint.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung und verbleibe
Ihr ergebener,
Dr. Tuzzi, Legationsrat I. Klasse