Gastkommentar: Nur ein Miteinander kann unser Überleben sichern.
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Jeremy Rifkin interpretiert Zeit als jenes Fenster, durch das wir unsere Welt wahrnehmen. Als Francis Fukuyama das "Ende der Geschichte" proklamierte, schien die Welt stillzustehen. Heute fühlen sich zu viele einem sich beschleunigenden Strom ausgeliefert. Aktuelle Entwicklungen im Mittleren Osten, im Pazifikraum und in den Beziehungen zu Russland nähren Befürchtungen, dass das Erdölzeitalter mit einem Konflikt zu Ende gehen könnte. Aber gäbe ein solcher Antwort auf die Zeit danach? Klimawandel, Artensterben und die Begrenztheit der Ressourcen mahnen, dass nur ein Miteinander das Überleben der Menschheit sichern kann. Wie dürfen wir dieses denken?
Die neue Weltordnung wird sich in zunehmendem Maß von unten nach oben entfalten, und die Kunst besteht darin, transparente Strukturen für komplexe zwischenmenschliche, inter- und transdisziplinäre Wechselwirkungen zu kristallisieren. Diese Entwicklung beginnt beim Einzelnen, wie er sich in der Welt verankert sieht und Verantwortung definiert. Urbanisierung zwingt die Regionen, sich in dynamischer Interpretation und Interaktion neu zu orientieren. Digitale Medien vernetzen reale Beziehungen mit spontanen, virtuellen Gruppen und Bewegungen. Die Arbeitswelt mit ihren persönlichen Erwartungshorizonten, ihren räumlichen wie zeitlichen Prozessen strukturiert sich um. Die Sensibilität personenbezogener Daten verlangt nach einem demokratisch kompatiblen Verhältnis von Bürger, Staat und Wirtschaft. Migration legt die Schienen in jene Weltregionen, die ihre Einbindung in die globale Schicksalsgemeinschaft einmahnen.
"Fließende Lösungen" und Top-down-Strukturen
Und schließlich geht es darum, auf welcher Grundlage wir die globale Neuordnung der Kräfte, Ströme, Prozesse und Beziehungen festschreiben. Die Übertragung des freien Spiels der Kräfte von der ökonomischen auf die politische Ebene hat ihre Grenze erreicht. Eine Neuordnung der Welt wird bei allem Pragmatismus nicht umhinkommen, auf ethischen Grundsätzen aufzubauen, denn nur sie schaffen jenes Vertrauen, dem die Qualität von Beziehungen entspringt. Eine endgültige Reform ist kurzfristig unmöglich. Wir werden mit "fließenden Lösungen" leben müssen, da wir Top-down-Strukturen brauchen, damit sich die Bottom-up-Prozesse in geordneten Bahnen auf eine neue soziale Konstellation hin entwickeln können.
Die nächste Ordnung wird also vor allem Signale senden - Signale, dass in Anbetracht der Herausforderungen jeder Akteur gleichermaßen sich verantwortlich in einen Prozess einzubringen hat und zu respektieren ist. Und dass jeder Mensch gleich an Würde und Rechten geboren ist, dass jedoch kulturell unterschiedliche Identitäten und autonome politische Wege zu respektieren sein werden.
Alle potenziellen Führungsmächte kämpfen mit Schwächen und Krisen. Sie neigen aus innerer Verunsicherung zu verbaler, institutioneller und militärischer Eskalation. Macht definiert sich aber nicht aus dem Potenzial der Zerstörung, sondern darin, in welchem Maß jemand die Welt positiv und verantwortlich zu gestalten vermag. Und sie alle haben ihre Träume: Amerika verkörpert den Traum von Freiheit und Demokratie. Europa strebt nach einem Einklang von Mensch und Natur, dem Ausgleich von Gegensätzen und spiegelt in seiner Vielfalt die Möglichkeiten, die in jedem Einzelnen schlummern. Russland träumt von Anerkennung und nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung; Die islamische Welt erinnert uns daran, dass Religion, Wissenschaft und Fortschritt ihre Synthese finden müssen. Chinas logisches und langfristig-strategisches Denken äußert sich im Projekt der "neuen Seidenstraße". Entsprechend dem poststrukturalistischen Ansatz gilt es, die internationalen Beziehungen als soziale Konstruktion und als dialogischen Prozess mit einem offenen Ende zu verstehen und zu konzipieren. Gelingt dies nicht, wird es nur Verlierer geben; wenn wir es aber schaffen, wird jeder sich als Gewinner fühlen können. Helfen wir uns in unseren Schwächen und bringen wir unsere Stärken und Träume zusammen!