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Commerzbank-Händler Gunnar Stangl: "CDS-Risiko wird völlig überbewertet."
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"Wiener Zeitung": Was ist so falsch daran, Credit Default Swaps als Versicherung zu bezeichnen?Gunnar Stangl: CDS werden im Deutschen oft als Kreditausfallversicherung bezeichnet. Daran ist schon die Übersetzung von "Credit" falsch: Es geht nicht nur um Kredite, sondern um alles, wo ein Rückzahlungsrisiko besteht.
Der Unterschied: Bei einer Versicherung muss der Schadensfall nachgewiesen werden - dieser tritt ein oder nicht. Und ich kann kein Auto oder Haus versichern, das ich nicht besitze. Bei CDS ist das möglich. Es geht dabei aber vielfach nicht darum, den Totalausfall eines Wertpapiers abzusichern. Wenn ich das fürchte, verkaufe ich es - was in der Euro-Schuldenkrise in den vergangenen zwei Jahren massiv passiert ist.

Sind diese Anleihenverkäufe an den hohen Zinsen einiger Eurostaaten schuld und gar nicht die CDS?
Es ist das größte Märchen aller Zeiten, dass böse CDS-Spekulanten diese Probleme verursacht hätten. An den Größenordnungen erkennt man sehr rasch, dass das ein obskures Argument ist.
Was ist der Sinn, wenn nicht die Absicherung gegen eine Pleite?
Die Idee war, etwas zu entwickeln, das sich wertmäßig so entwickelt wie das zugrunde liegende Basisobjekt. Damit kann ich Investitionen tätigen, selbst wenn das gewünschte Wertpapier momentan nicht handelbar ist. Das war zum Beispiel 2003 bis 2005 der Fall, als Investoren gerne ein ausgewogenes Anleihenportfolio gehabt hätten, aber fast nur Telekomanleihen verfügbar waren.
Sie finden, die Risiken werden überzogen dargestellt. Warum?
Der Vergleich mit einer Versicherung fokussiert alles auf den Schadensfall und übertreibt die moralischen Risiken. Wenn ich den Kauf von CDS - wie das Medien gern tun - mit einer Feuerversicherung auf das Haus des Nachbarn vergleiche, schwingt der Vorwurf der beabsichtigten Brandstiftung mit. Nicht jeder, der sich vor dem Wertverlust griechischer Anleihen schützen will, ist ein böser Mensch und hofft auf einen Zahlungsausfall. Das ist ein Zerrbild der Wirklichkeit.
Das Instrument kann sehr wohl spekulativ eingesetzt werden und es geht um schwindelerregende Beträge. Das soll kein Risiko sein?
Die 35 Billionen US-Dollar Nominalwert, die oft genannt werden, sind reine Luftbuchungen, weil hier alle Geschäfte und Gegengeschäfte aufsummiert werden. Reduziert man das auf das tatsächliche Risiko, kommt man auf einen Bruchteil, im kleinen einstelligen Prozentbereich.
Aber erleben wir nicht bei Griechenland, dass Verhandlungen extrem kompliziert sind, wenn neben Anleihengläubigern CDS involviert sind?
Reine CDS-Inhaber sitzen ja nicht mit am Verhandlungstisch. Die wirklichen Geleimten sind all jene, welche die Anleihen noch zu relativ hohen Preisen gekauft haben und sich mit CDS legitimerweise gegen Wertschwankungen absichern wollten. Dann kam die Eurogruppe und sagte: "Ätsch! Wir tricksen das so, dass die CDS nicht ausgelöst werden." Diese Anleger müssen jetzt den Wertverlust der Anleihen hinnehmen - und erhalten obendrein keine Zahlung für die CDS, weil die Vereinbarung freiwillig ist.
Viele befürchten eine Panik wie nach der Lehman-Pleite, wenn die griechischen CDS ausbezahlt werden müssten. Zu Recht?
Es ist eine obskure Idee der Verantwortlichen, unbedingt einen Ausfall vermeiden zu wollen. Eine Nichtigkeit wurde zur Haupt- und Staatssache gemacht. Worüber reden wir in Wirklichkeit? Es geht um einen Risikotransfer bei griechischen Staatsanleihen von netto etwa vier Milliarden Dollar, der auf mehr Schultern verteilt würde. Betroffen wären im Wesentlichen die Bank of America, JP Morgan und Goldman Sachs, die das Risiko viel sehenden Auges eingegangen sind als viele Anleihenkäufer.
Die Eurozone hat wohl wenig Interesse, US-Banken zu schützen. Warum will sie den CDS-Zahlungsfall unbedingt verhindern?
Das ist für mich rational nicht nachvollziehbar. Man tut sich damit keinen Gefallen, weil es das Vertrauen der Märkte in die Vertragssicherheit erschüttert und damit die Vertrauenskrise noch weiter vertieft. Vielleicht war die Erfahrung bei AIG ein Grund (der weltgrößte CDS-Verkäufer musste 2009 von den USA aufgefangen werden, Anm.). Die Erklärung muss man wohl eher im politisch-populistischen als im ökonomischen Bereich suchen.
Wer würde profitieren, wenn die CDS-Zahlungen schlagend würden?
Es wird schon den einen oder anderen Hedgefonds geben, der 2009 mit einer Griechenland-Pleite gerechnet und CDS gekauft hat und profitieren würde. Aber der weit überwiegende Teil von CDS diente bei Griechenland der Absicherung realer Risiken, zum Beispiel aus Geschäften mit griechischen Banken oder Gemeinden.
Es bleibt aber immer das Risiko, dass mein CDS-Verkäufer nicht zahlen kann. Ist es nicht widersinnig, wenn eine Bank Schutz gegen Staatspleiten bietet? Wedelt da nicht der Schwanz mit dem Hund?
Wenn ich mich gegen den Ausfall griechischer Staatsanleihen versichern will, gehe ich ohnehin nicht gerade zur Bank of Greece und auch nicht zu einem Institut der Eurozone, sondern zu einem US-Institut.
Im März 2009 war Österreich bei den Credit Default Swaps eine kurze Zeit lang schlechter bewertet als Griechenland. Ist das nicht ein geradezu aberwitzig falsches Preissignal?
Völlig richtig. Übertreibung ist in Märkten an der Tagesordnung. Aber wie relevant war das wirklich? Das sind zwei getrennte Märkte, es hat die von Österreich bezahlten Zinsen nicht langfristig hochgetrieben, und die Republik nicht daran gehindert, im März und April zusammen 3,2 Milliarden Euro an Anleihen zu begegnen. Der CDS-Markt für Staatsanleihen wird generell relativ aberwitzig, wenn es um große OECD-Staaten geht: Wer sichert mir das Ausfallsrisiko meines Garantiegebers ab, wenn ich mich gegen eine Pleite Deutschlands absichere? Das ist nur sinnvoll, wenn es nicht um das Ausfallsszenario geht, sondern um Marktpreisschwankungen in der Bilanz.
Die EU will CDS-Käufe verbieten, wenn der Investor gar keine Staatsanleihen hält ("Naked short") und fordert, dass alles über zentrale Abwicklungsplattformen läuft. Wie sinnvoll finden Sie diese Regulierung?
Die zentrale Gegenpartei für die CDS-Abwicklung ist sinnvoll und hilfreich – und keine Erfindung der EU: Das hat die Industrie seit Jahren umgesetzt. Der CDS-Markt ist der jüngste, aber am besten standardisierte Markt für OTC-Derivate (außerbörslich gehandelte Papiere, Anm.) Das Verbot, CDS abzuschließen, wenn man keine Staatsanleihen besitzt, ist hingegen eine Luftnummer und nicht notwendig. Es gibt sogar Studien der deutschen Aufsichtsbehörde Bafin und der EU selbst, dass das keinen Unterschied macht.
Viele geben Kreditderivaten wie den CDS eine Mitverantwortung für die Finanzkrise. Wer ist Ihrer Meinung nach schuld?
Basis einer jeden Krise ist, dass Risiken nicht adäquat bezahlt werden. Der Grund dafür sind sehr häufig regulatorisch falsch gesetzte Anreize. Das war bei den US-Immobilien so, wo der Verbriefungsmarkt in Kombination mit der US-Notenbank und den staatlich garantierten Instituten Fannie Mae und Freddie Mac die Risikoeinschätzung verzerrte. CDS hatten insofern einen Anteil, als sie dieses falsche Gefühl der Sicherheit noch verstärkt haben. Und in Europa war es die Fiktion, dass Staatsanleihen risikofrei sind und nicht mit Kapital hinterlegt werden müssen.