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Erwarteter Sieg von Mubaraks Partei. | Machtfrage stellt sich - noch - nicht. | Kairo/Wien. Noch bevor die Endergebnisse der Wahlen in Ägypten vorlagen, standen schon die Sieger fest: Neben der Nationaldemokratischen Partei von Präsident Hosni Mubarak, deren Wahlerfolg nie in Frage stand, ist dies die Moslembruderschaft, die nach drei Wahlphasen rund ein Viertel der Parlamentsabgeordneten stellen dürfte und sich als stärkste Oppositionspartei etabliert hat.
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Die Moslembrüder haben damit erreicht, was sie wollen. Der im September bei geringer Wahlbeteiligung im Amt bestätigte Präsident und seine Entourage sind (noch mehr) in die Enge getrieben. Noch nie konnte das Regime dank internationalem (US-)Druck so offen kritisiert werden, und noch nie fanden Parlamentswahlen statt, die - trotz Wahltricksereien, Stimmenkauf und Einschüchterungsversuchen - zumindest ansatzweise etwas von Demokratie an sich hatten.
Der Westen fragt sich, was es mit der scheinbaren Radikalisierung auf sich hat. Abgesehen davon, dass die Moslembruderschaft wohl schon bei vergangenen Wahlen stark abgeschnitten hätte - so diese demokratisch abgelaufen wären -, liegt ihre Stärke in der Schwäche des Regimes. Viele stimmten nicht für die Bruderschaft, sondern gegen das Regime und dessen Unfähigkeit, die wirtschaftliche Misere zu beheben.
Versagen des Regimes
Steigende Preise bei steigender Inflation, Massen-Jugendarbeitslosigkeit und Uni-Professoren, die, um zu überleben, am Abend noch kellnern oder Taxifahren gehen müssen, bilden den Status Quo. Dass nun für manche ausgerechnet die Muslimbruderschaft eine Alternative ist, hat weniger mit ideologischen Gründen zu tun. Hauptgrund ist, dass sie im Gegensatz zu den anderen Oppositionsparteien nicht zuletzt wegen ihrer karitativen Arbeit ungleich glaubwürdiger ist - dort, wo der Staat (wieder einmal) versagt, helfen die Muslimbrüder aus.
"Außerdem sind sie tief in der Bevölkerung verankert. Die Infiltrierung in die Zivilgesellschaft ist ihnen in den vergangenen zwei Jahrzehnten perfekt gelungen. Der Einfluss reicht von den Gewerkschaften bis in die Regierungspartei selbst", erklärt der Wiener Politologe und Islamismus-Experte Cengiz Günay.
Eine direkte Auswirkung hat das Erstarken der Moslembruderschaft trotzdem nicht, denn zum einen ist die absolute Mehrheit der Regierungspartei unangefochten, zum anderen ist das Parlament zahnlos, de facto machtlos.
Indirekte Konsequenzen gibt es indes schon: Erstens wurde die Bruderschaft erstmals auch von staatlicher Seite anerkannt - wiewohl nur (typisch Ägypten) halbherzig, da sie als Partei nach wie vor nicht erlaubt ist und ihre Kandidaten als Unabhängige antreten mussten. Zweitens ist das Regime noch mehr in die Defensive geraten.
Bereits in den vergangenen 24 Jahren, in denen der heute 77-jährige Mubarak an der Macht war, musste er zahlreiche Zugeständnisse machen. "So lange ihn allerdings die Muslimbrüder nicht in Frage stellen, wird Mubarak das alte Spiel fortsetzen und der Stabilität des Landes und des Machterhalts wegen weitere Konzessionen machen. Nur: Was soll sich in Ägypten noch großartig verändern? Die Islamisierung der Gesellschaft ist zu großen Teilen erfolgt, beispielsweise, dass die Sharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung wurde", analysiert Günay.
Zerstrittene Bewegung
Die Machtfrage stellt sich indes nicht - zumindest so lange nicht, so lange Mubarak am Drücker ist. Abgesehen davon ist es fraglich, ob die Moslembrüder dazu fähig wären. Denn was sie in politischer Hinsicht eigentlich wollen, wissen sie selbst nicht so genau.
Ein Parteiprogramm haben sie ebensowenig wie klare politische Ziele. Lediglich nach außen wirkt die Bewegung homogen, doch intern ist man zerstritten - hier die Religiösen, da die Ideologen und dort die Pragmatiker.
"Sollten die Moslembrüder diese Zerreissprobe tatsächlich überstehen und eines Tages die Macht erlangen, sind dennoch keine dramatischen Änderungen zu erwarten, da dafür der außen- und wirtschaftspolitische Handlungspielraum schlicht zu klein ist", resümiert Günay. "Um Ägypten stabil und lebensfähig zu halten, würde sie eine ähnliche Linie wie Mubarak fahren müssen."
Analyse: Demokratie kein Allheilmittel