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Eine Niederlage für Japan

Von Martin Fritz

Analysen

Japans Wähler haben erneut die Geduld mit ihren Politikern verloren. Im vergangenen August schickten sie die Liberaldemokraten (LDP) nach mehr als fünf Jahrzehnten an der Macht in die Opposition und verhalfen den Reformern von der jungen Demokratischen Partei (DPJ) zu einem überwältigen Wahlsieg.


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Doch in nur zehn Monaten hat die DPJ den riesigen Vertrauensvorschuss verspielt. Die "Politik für die Bürger" blieb aus, eine klare politische Linie war nicht zu erkennen. Statt wie versprochen mit Steuergeld sorgsamer umzugehen, wurden soziale Wohltaten wie ein Kindergeld mit neuen Schulden finanziert.

Der neue Regierungschef Naoto Kan machte genauso konfus weiter wie sein Vorgänger Yukio Hatoyama, der sich mit unhaltbaren Versprechen um Kopf und Kragen geredet hatte. Aus heiterem Himmel kündigte Kan im Wahlkampf eine höhere Mehrwertsteuer an, ohne sich vorher einen Verwendungszweck für die Mehreinnahmen zu überlegen.

Mal wollte er damit Schulden begrenzen, mal die Renten sichern und mal neue Arbeitsplätze finanzieren. Die Wähler haben Kan am Sonntag die Mehrheit im Oberhaus weggenommen, um eine neue Steuerverschwendung zu verhindern und ihn zu Kompromissen zu zwingen.

Veränderungen im Schneckentempo

Doch die Kehrseite sind Veränderungen im Schneckentempo. Kan will versuchen, mit wechselnden Mehrheiten im Oberhaus zu regieren. Mit der buddhistischen Komeito-Partei ließe sich der Sozialstaat ausbauen und mit der neuen Reformgruppe "Ihre Partei" die Beamtenmacht verkleinern. Mit der LDP könnte sich die DPJ auf geringere Unternehmenssteuern einigen.

Wahrscheinlicher sind jedoch Verzögerungen und Verwässerungen vieler Vorhaben bis zum Stillstand. Das gilt wohl auch für die Sanierung der Staatsfinanzen. Die Ratingagentur S&P hat deshalb bereits mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit von Japan gedroht. Doch diese Warnung wird in Tokio überhört: Die LDP drängt lieber auf Neuwahlen und Kan droht bei seiner Wiederwahl als DPJ-Chef eine innerparteiliche Revolte. Für die DPJ ist diese Niederlage nur schlecht - für Japan ist sie sehr schlimm.