Algier - Präsident Abdelaziz Bouteflika war die Freude anzusehen, als am Freitag die Nachricht vom Sieg seiner Partei FLN bei der Parlamentswahl des Vortages bekannt wurde. Die ehemals sozialistische Einheitspartei errang 199 der 389 Abgeordnetenmandate und damit die absolute Mehrheit im Parlament. Die Mehrheit der Bevölkerung hat die Partei deshalb aber noch lange nicht hinter sich: Nur 47,5 Prozent der 18 Millionen Wahlberechtigten waren überhaupt zu den Urnen gegangen. Es war die geringste Wahlbeteiligung in dem Maghreb-Staat seit der Unabhängigkeit 1962.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die wichtigsten Oppositionsparteien hatten - sehr erfolgreich - zu einem Boykott aufgerufen, darunter die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) von Hocine Ait Ahmed und die Sammlungsbewegung für Kultur und Demokratie (RCD) von Said Saadi. Sie werfen der Regierung vor, mit der "manipulierten Wahl" schlicht ihre Repressionspolitik und ihr wirtschaftsliches Missmanagement legitimieren lassen zu wollen. An echter parlamentarischer Demokratie sei dem von Militärs dominierten Establishment ohnehn nicht gelegen, tönte es seitens der Kritiker. "Algerien braucht keine Wahlen, sondern würdige Lebensumstände", sprach ein FFS-Repräsentant vor dem Hintergrund einer Arbeislosenrate von 60 Prozent unter Jugendlichen und dem chronischem Wassermangel in den Haushalten vielen Nichtwählern aus dem Herzen. Sie versprechen sich von dem neu gewählten Parlament offenbar keine Verbesserung ihrer tristen Lage.
Berber-Boykott
Noch arwöhnischer stehen die Berber, von denen rund eine Million wahlberechtigt sind, der Regierung gegenüber. Während in Algeriens Metropole Algier die Wahlbeteiligung immerhin noch bei 31 Prozent lag, erreichte sie in den größten Städten der Berber-Hochburg Kabylei, Tizi-Ouzou und Bejaia, nur noch 1,84 beziehungsweise 2,62 Prozent - so hoch ist dort der Anteil der stationierten Soldaten und Polizisten. Die Regimegegner lieferten sich mehrere Straßenschlachten mit der Polizei, besetzten Wahllokale und verbrannten Wahlurnen. Das Verhältnis der Kabylen zum Machtzentrum war nie sehr gut, doch spätenstens seit die Sicherheitskräfte im Frühjahr 2001 Demonstrationen brutal niederschlugen, mit denen die Berber ihrer Forderung nach mehr Autonomie Ausdruck verliehen, und dabei fast hundert Menschen starben, ist das Vertrauen aufgebraucht. Da half es auch nicht, dass das algerische Parlament im April die Berbersprache Tamazight als Landessprache anerkannte und diese auch in der Verfassung verankerte.
Große Verliererin der von Gewalt überschatteten Parlamentswahl war die Nationaldemokratischen Sammlungsbewegung (RND). Die bisher stärkste Parlamentsfraktion, der Anhänger des damaligen Staatspräsidenten General Liamine Zeroual kam nur auf 43 Mandate. 1997 hatte sie noch 156 erreicht. Die Bewegung für Nationale Reform (MRN) unter Abdallah Djaballah erhielt ebenfalls 43 und die gemäßigt-islamistische Bewegung für die Gesellschaft des Friedens (MSP) von Maffoud Nahnah 38 Mandate. Die trotzkistische Partei der Werktätigen von Louisa Hanoune stellt 21 Abgeordnete. 29 Sitze gingen an Unabhängige.
Insgesamt hatten sich 10.052 Kandidaten von 23 Parteien und unabhängigen Listen für die 189 Mandate bis 2007 beworben.
Die Wahl war von einem blutigen Überfall bewaffneter Rebellen überschattet worden. Wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale am Donnerstag wurden 23 Nomaden westlich der Hauptstadt Algier ermordet. Die Behörden machten, wie immer, die terroristischen "Bewaffneten Islamischen Gruppen" (GIA) für den Überfall verantwortlich.
Die ersten Mehrparteienwahlen in Algerien hatten Ende 1991 stattgefunden. Die zweite Runde war Anfang 1992 von den Militärs annulliert worden, als sich ein Erfolg der Islamischen Heilsfront FIS abzeichnete, die anschließend verboten wurde. Dies führte zum Bürgerkrieg mit bisher schätzungsweise bis zu 150.000 Toten. Seither herrscht in dem reichen Ölstaat der Ausnahmezustand, der die "islamistische Gefahr" abwehren soll. 1997 war erneut von Wahlbetrug die Rede, so wie auch in der Präsidentenwahl von 1999, die den einstigen General Abdelaziz Bouteflika nach dem Rückzug der anderen Kandidaten in letzter Minute als alleinigen Anwärter zwangsläufig zum Sieger machte. Die jüngste Parlamentswahl galt als Testwahl.
Bestanden hat er sie nicht. Nicht einmal die Hälfte der Algerier haben ihn und seine "Politik der nationalen Versöhnung" unterstützt. Dass er dieses Ergebnis politisch unbeschädigt bleibt, erscheint fraglich.