Weder die USA noch der scheidende Präsident Karzai wollen nachgeben.
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Washington/Kabul. Jetzt ist es tatsächlich passiert. Nichts wollten US-Offizielle mehr vermeiden, als dass das bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen den USA und Afghanistan, das den Verbleib von Truppen über Dezember 2014 hinaus regeln soll, zu Beginn des Wahlkampfes noch immer nicht unterzeichnet ist. Die Präsidentschaftswahlen im Land am Hindukusch sind für den 5. April angesetzt - diese Woche wurde der Wahlkampf mit der ersten Fernsehdebatte der aussichtsreichsten Kandidaten eröffnet. Und auch wenn diese für eine rasche Unterzeichnung plädierten, gibt es noch andere Kandidaten, die mit dem Thema, ob man die Amerikaner denn überhaupt noch brauche, wohl auf Stimmenfang gehen und so die ohnehin von Turbulenzen geplagte Partnerschaft zwischen Afghanistan und den USA weiter auf die Probe stellen werden.
Seit nun bereits mehr als einem Jahr verhandeln die USA und Afghanistan über das bilaterale Sicherheitsabkommen. Mit ihm steht und fällt die Post-2014-Mission der Nato, die afghanische Sicherheitskräfte finanzieren und trainieren soll - eine Unterstützung, die das Land Experten zufolge nach wie vor bitter nötig hat. Selbst Präsidentschaftskandidaten wie Qayyum Karzai, der Bruder des amtierenden Präsidenten Hamid Karzai, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten darf, gesteht dies ein: "Die afghanischen Sicherheitskräfte können auf sich gestellt die Sicherheit im Land nicht garantieren", sagte er in der TV-Debatte.
Bedingung für einen Verbleib von US-Truppen ist aber das Unterzeichnen des Sicherheitsabkommens. Wenn die Amerikaner nicht vor Ort bleiben, wird sich kaum eines der 51 Länder, die bisher an der Nato-Kampfmission beteiligt waren, der geplanten Folgemission anschließen. Zudem würde es ohne den größten Truppensteller ein schwieriges Unterfangen, die für eine sichere Mission benötigte Truppengröße zusammenzubringen.
Lange Zeit hatte es danach ausgesehen, dass der Pakt problemlos durchgewunken wird. Im Jänner des Vorjahres war eine große afghanische Delegation nach Washington aufgebrochen, um Nägel mit Köpfen zu machen - kaum jemand hatte größere Schwierigkeiten erwartet. Man kehrte aber mit hängenden Köpfen und zuckenden Schultern zurück. Seither lässt Präsident Karzai keine Gelegenheit aus, die Unterzeichnung des Abkommens hinauszuzögern. Er ließ mehrere Deadlines der Amerikaner verstreichen und baute neue Hürden auf. So berief er etwa völlig überraschend eine Loja Dschirga, eine Versammlung der Ältesten, ein, die über das Abkommen beraten sollte. Noch bevor sich diese für eine Unterzeichnung aussprach, erklärte er, das Abkommen solle erst vom nächsten Präsidenten unterzeichnet werden.
Die Amerikaner treibt er mit diesem Spiel zur Weißglut - immerhin ist der Abzug in vollem Gange und eine Folgemission auf die Beine zu stellen, benötigt Zeit. Mehrere Male flogen US-Außenminister John Kerry und andere hochrangige Regierungsvertreter nach Kabul, um ihn in nächtelangen Sitzungen umzustimmen. Vergeblich.
Und als die Amerikaner gar mit der Zero-Option, dem vollständigen Abzug drohten, wusste Karzai abermals nachzulegen: Eine Unterzeichnung komme erst infrage, wenn es "substanzielle Gespräche mit den Taliban" gebe. Eine Forderung, die laut Experten fast einer Verhöhnung gleicht. Immerhin weigern sich diese seit Jahren, in Verhandlungen mit der afghanischen Regierung einzutreten - mit der Begründung, dass diese nur "Marionetten der USA" seien. Man verhandle deshalb - wenn überhaupt - nur mit den USA. Zwar bestätigte am Mittwoch Karzais Sprecher, dass man nun mit Taliban in Kontakt sei und diese "mehr als zuvor an Frieden interessiert" seien. Beobachter erwidern aber, das sei eher ein Ablenkungsmanöver der Taliban, um das Sicherheitsabkommen mit den Amerikanern zu torpedieren. Noch nie wären sie wirklich an Gesprächen interessiert gewesen.
Obama weiter unentschieden
Aber auch die USA werden kritisiert. "Viel an dieser Konfusion ist auch dem Umstand geschuldet, dass aus der Obama-Administration nie eine klare Linie für die Zeit nach 2014 vorgegeben wurde", sagt Davood Moradian, Direktor des Afghanischen Instituts für Strategische Studien, zur "Wiener Zeitung". Erst am Dienstag diskutierte der US-Präsident Barack Obama mit Militärs die amerikanische Präsenz am Hindukusch für die Zeit nach dem Abzug der Kampftruppen. Es wird kolportiert, dass die USA mehr als 10.000 Soldaten für Antiterrorismus-Einsätze und zur Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte im Land lassen wollen. Eine Sprecherin des Weißen Hauses sagte nach den Gesprächen, Obama hätte noch keine finale Entscheidung über die US-Präsenz getroffen und würde weiterhin Inputs von Militärs, Geheimdiensten und Diplomaten abwägen.
Leidtragende im "Chicken Game" zwischen den Regierungen der beiden Länder, die aufeinander zurasen, ist die afghanische Bevölkerung. Sie will die Truppen im Land haben. Auch die Wirtschaft lechzt nach Planungssicherheit - Investitionen im Privatsektor sind seit der Androhung eines vollständigen Abzugs in den Keller gerasselt. Die Hoffnungen, das Land aus der sich verbessernden, aber nach wie vor desolaten Situation zu führen, ruhen bereits auf dem neuen Präsidenten.