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Eine Pipeline spaltet Europa

Von Veronika Eschbacher

Politik

Moskau gelingt es weiter, einen Keil zwischen die EU-Länder zu treiben.


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Wien/Moskau. Wie lange die Verhandlungen dauerten oder wer ihr Hauptantreiber war - daran mag sich keine der beiden Parteien so recht erinnern. Faktum ist aber seit Dienstag: Die russische Gaspipeline South Stream kehrt nach Österreich zurück. Der russische Energiegigant Gazprom und die österreichische OMV unterzeichneten diese Woche eine Absichtserklärung, nach bereits fallengelassenen Plänen nun doch ein Teilstück der Gaspipeline, die von Südrussland durch das Schwarze Meer über Bulgarien nach Zentraleuropa führt, auch nach Österreich zu bauen. Während hierzulande die meisten Akteure jubeln, wird der Deal international um einiges kritischer beäugt. Und das nicht nur, weil die Unterzeichnung genau einen Tag stattfand, nachdem der Westen erneut Sanktionen gegen Russland verhängt hatte. Österreich schwimmt damit gleich gegen mehrere Ströme.

Dies einerseits, weil die EU-Kommission South Stream - und der Monopolstellung Gazproms auf dem europäischen Markt - seit langem kritisch gegenübersteht. Ihrer Ansicht nach widersprechen die bilateralen Abkommen, die die Transitländer - auch Österreich - mit Russland geschlossen haben, EU-Recht. In Folge der Krim-Krise hat die EU den Genehmigungsprozess nun praktisch auf Eis gelegt. Den jetzigen Wiedereintritt Österreichs in das Projekt, so hieß es aus der EU-Kommission gegenüber der "Wiener Zeitung", nehme man "zur Kenntnis". Wohlwollen hört sich freilich anders an.

"Die EU-Kommission wird das natürlich nicht goutieren, ihre Haltung gegenüber South Stream ist unverändert kritisch", meint Jonas Grätz, Energieexperte der ETH Zürich, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Kommission wolle das Projekt dem Dritten Liberalisierungspaket unterwerfen (dieses sieht die Trennung von Energieversorgern und Netzbetreibern vor) und so möglichst aufhalten. Verhindern könne sie es nicht. "Aber es wird zu langwierigen Verhandlungen führen."

Das Projekt stößt aber nicht nur der Kommission sauer auf. Mitte April hat das Europäische Parlament in einer nicht-bindenden Resolution dazu aufgerufen, den Bau von South Stream zu stoppen, da Russland Gas als politisches Druckmittel einsetze.

Österreichisches Verhalten erstaunt Kiew

Aber auch in der Ukraine fühlt man sich vor den Kopf gestoßen. Immerhin wurde South Stream von Russland ins Leben gerufen, um die Ukraine als Gastransitland zu umgehen. Damit würden künftig auch für Kiew wichtige Transitgebühren wegfallen. Und während sich derzeit andere westliche Länder darum bemühen, der Ukraine unter die Arme zu greifen - die Slowakei etwa hat diese Woche mit Kiew eine Absichtserklärung über Gaslieferungen im Reverse-Modus in das Land am Dnjepr unterzeichnet und damit seine Beziehungen zu Russland gefährdet -, "erstaunte" das österreichische Verhalten Entscheidungsträger in Kiew.

Dort hatten manche South Stream nach negativen Äußerungen des EU-Kommissars Günther Oettinger schon als erledigt abgehakt, wie ein Rundruf der "Wiener Zeitung" ergab. Andere wiederum erkundigten sich, ob in Österreich denn ein Wahlkampf laufe, weil dann immer "komische Entscheidungen" getroffen würden. Als sie erfuhren, dass dem nicht so war, wurde angeraten, sich bei osteuropäischen Nachbarländern zu erkundigen, was ein Gazprom-Monopol für ein Land bedeute. Auch der ukrainische Premierminister Arseni Jazenjuk kritisierte Wien scharf und wies darauf hin, dass es "europäische" und "russische" Werte gebe - und man dies berücksichtigen solle.

Gazprom kann künftig Hälfte der OMV-Speicher nutzen

Nicht zuletzt blieben zwei Details, die die Absichtserklärung der Energiefirmen beinhalten, weitgehend unbeachtet. Zum einen wurde Gazprom ein Viertel der Wiener Gasbörse CEGH angeboten. An dieser hält die OMV als einer von drei Eigentümern aktuell 65 Prozent. Es ist bereits der zweite Versuch von Gazprom, bei der österreichischen Handelsplattform einzusteigen. Der erste war am Widerstand der EU-Kommission gescheitert. Ob die Kommission diesmal - immerhin war damals von einer höheren, 50-prozentigen Beteiligung die Rede - zustimmt, ist offen.

Zum anderen wurde Gazprom die Nutzung von OMV-Gasspeichern in einem Umfang von bis zu einer Milliarde Kubikmeter zugesagt - das ist fast die Hälfte der OMV-Speicherkapazität von 2,4 Milliarden Kubikmeter. Gazprom ist darüber hinaus bereits mehrheitlich an den größten Gasspeichern Österreichs in Haidach mit einer Kapazität von 2,6 Milliarden Kubikmeter beteiligt.

Für den internationalen Energieberater Wolfgang Schollnberger ist dies bedenklich. "Das alles gibt Gazprom fast unbeschränkte Preissetzungsmacht - denn sie besitzt die Gasfelder, Pipelines und mehrheitlich zumindest die Speicher in Haidach." Dies stehe im krassen Gegensatz zu den Bemühungen der EU-Kommission, eine für den Konsumenten schädliche Markt-Konzentration zu zerschlagen.

Schollnberger nicht ganz beipflichten will Gerhard Mangott, Energieexperte der Universität Innsbruck. "Es ist natürlich nicht besonders glücklich, wenn ein Land seine Geschäftsbeziehungen mit dem größten Unternehmen Russlands gerade dann intensiviert, wenn in der EU die dritte Stufe der Sanktionen gegen Moskau angedacht wird", sagt der Energieexperte der Uni Innsbruck zur "Wiener Zeitung". Das kann auch als Zeichen eines Landes interpretiert werden, das ohnehin besonders gegen eine dritte Stufe der Sanktionen gegen Russland eingestellt ist.

"In der Sache selbst ein vernünftiger Schritt"

Blendet man den Ukraine-Konflikt aber aus, hält es Mangott für einen vernünftigen Schritt, sich um das Projekt bemüht zu haben. Immerhin hätte Österreich keine Anbindung an kaspisches Gas erhalten und der Osten des Landes sei komplett von einem - ukrainischen - Leitungsstrang abhängig, der sehr konfliktanfällig und veraltet sei.

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, der OMV-Chef Gerhard Roiss vor der Memorandums-Unterzeichnung in Moskau einen Brief mitgegeben hatte, in dem er seine Unterstützung für South Stream in Österreich kundtat, drückte es etwas direkter aus. Im Interview mit der "ZiB 2" nannte er die Ukraine ein "Versorgungsleck" und sagte, das Land entnehme Gas, ohne zu bezahlen. Gegenüber der "Wiener Zeitung" hieß es aus dem Wirtschaftsministerium, South Stream sei wichtig für die Versorgungssicherheit Österreichs. Das Projekt gebe es seit vielen Jahren, die politische Vereinbarung zur Unterstützung habe man schon im Jahr 2010 unterschrieben. Und bezüglich des Timings der Memorandum-Unterzeichnung ließ man wissen, dass es "in Krisensituationen nie einen optimalen Zeitpunkt gibt".

"Kohärente Energiepolitik in der EU wäre wünschenswert"

Für Martin Graf von der E-Control überwiegen die Vorteile für Österreich. Durch South Stream würden die Lieferrouten diversifiziert, die Bedeutung der Wiener Gasbörse CEGH als Gashandelsdrehscheibe wachse durch mehr Gaslieferungen nach Baumgarten (wobei das genaue Wachstumspotenzial nicht klar ist, immerhin soll South Stream ja Lieferungen, die bisher über die Ukraine kamen, ersetzen) und eventuell könne man sogar die Lieferanten diversifizieren, wenn in Zukunft vielleicht die OMV Gas aus rumänischen Hoheitsgewässern über South Stream transportieren könne (wobei es dafür heute noch keine Anzeichen gibt). Das Argument, dass Gazprom einen Großteil der Gasspeicher kontrolliere, weist Graf mit dem Hinweis zurück, dass Gazprom quer durch Europa Anteilseigner an Gasspeichern sei und dass sich das Speichervolumen in Österreich seit 2005 fast verdreifacht habe. Und nicht zuletzt würden die Alternativen für russisches Gas nicht auf der Straße liegen.

Neben den genannten Zugeständnissen hat der Deal für Gazprom aber auch weitere Vorteile. "Der erneute Einbezug Österreichs durch Gazprom erfolgt, um die politische Position in den Gesprächen mit der EU-Kommission zu stärken und auch, weil sich so die Gasmärkte in Ostmitteleuropa besser erreichen lassen als über Italien", sagt Grätz.

Klar ist aber auch, dass es Moskau mit dem Deal gelang, nach Bulgarien, das den Bau der Pipeline unbedingt durchsetzen will, nun auch Österreich auf seine Seite zu ziehen. Das hilft dabei, die EU-Länder zu spalten und gegeneinander und gegen die Kommission auszuspielen. Das wird auch in Kiew bemerkt. "Eine einheitliche, kohärente Energiepolitik in der EU wäre wünschenswert", sagt Sergej Jewtuschenko, Chef der Nationalen Investitionsagentur der Ukraine, zur "Wiener Zeitung".

Doch die Stränge laufen in der Energiepolitik in verschiedene Richtungen: Während Brüssel genehmigungstechnisch auf die Bremse steigt und auf Zeit setzt, drücken die Transitländer gemeinsam mit Moskau auf die Tube. Das ist in ihrem Interesse - immerhin winken ihnen eine sofortige Stützung der Wirtschaft durch die Investitionen in den Pipeline-Bau und langfristige Einnahmen im Transitgeschäft. "Die Transitländer wollen Fakten schaffen", sagt Grätz. "Sie hoffen, dass sie so die EU-Kommission in langwierigen Gesprächen von Ausnahmen überzeugen können, wenn die Pipeline einmal liegt", erklärt der Energieexperte.

"Wenn es Verhandlungslösung gibt, dann sicher nicht jetzt"

So besitzen Moskau und Brüssel derzeit mehrere Werkzeuge, mit denen sie dem jeweils anderen Nadelstiche versetzen können. Gazprom treibt, streng nach Zeitplan, den Bau weiter voran. Dass Brüssel seine Bedenken gegenüber Gazprom bald aufgibt, wird nicht erwartet. "Es wäre ein etwas eigenartiges Signal, wenn die EU versucht, hart aufzutreten und über eine dritte Stufe der Sanktionen nachdenkt - aber gleichzeitig Russland in einem Projekt von solcher strategischer Bedeutung, das die Ukraine schwächt, entgegenkommt", sagt Mangott. "Wenn es eine Verhandlungslösung gibt, dann sicher nicht jetzt." Daran werden wohl auch die Österreicher nichts ändern.