"Die Wunderlösung gibt es nicht, und wer etwas anderes behauptet, der lügt." | Kritik an Sparkurs in der Verwaltung. | "Wiener Zeitung": Ist der Menschenrechtsbeirat nicht ein zahnloses Gremium?
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Gerhart Wielinger: Das glaube ich nicht. Er hat die Aufgabe, die Tätigkeit der Exekutive kontrollierend zu beobachten und Empfehlungen an den Innenminister zu formulieren. Diese haben schon zu beachtlichen Reaktionen geführt. Man darf aber nicht übersehen, dass eine Empfehlung, die heute abgegeben wird, nur dann morgen umgesetzt werden kann, wenn sie krasse Missstände betrifft.
Wie beurteilen Sie es, dass der Beirat gerade im Innenministerium angesiedelt ist?
Die Exekutive untersteht dem Innenministerium, also ist nur dieses als Ort, wo der Beirat angesiedelt ist, sinnvoll. Zahnlos wäre es, irgendein schön unabhängig gestelltes, isoliertes Gremium zu schaffen, das keinerlei Möglichkeiten hat, in intensive Gespräche mit den von seiner Arbeit Betroffenen einzutreten. Bei gleichzeitiger Unabhängigkeit der Mitglieder gewährleistet das einen intensiven Informationsfluss - und zwar auch von Informationen, die für die Anlassfälle nicht angenehm sind.
Im Frühling hat der Beirat kritisiert, dass es Defizite bei der Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen bei der Exekutive gibt. Was hat sich seither getan?
Genau das ist einer jener Fälle, in denen Reaktionen rasch möglich sind. Eine relativ adäquate, nachhaltige Reaktion ist wiederum eine Angelegenheit, die Zeit braucht. Es bedarf hier des Zusammenwirkens zwischen Sicherheitsbehörden, Staatsanwaltschaft und Gerichten - da kann es zu Ergebnissen kommen, die zu hinterfragen sind. Es ist überhaupt nicht alles in Ordnung, und es wäre eine Lüge, zu sagen, das Problem könne im Handumdrehen gelöst werden.
Im Fall Cheibani Wague - er starb nach zu langer und heftiger Fixierung am Boden - wurde deutlich, dass die Dienstanweisung, wonach Fixierungen nur kurz durchgeführt werden dürfen, nicht alle Polizisten erreicht hat.
Das Innenministerium hat die Situation sehr ernst genommen und Maßnahmen getroffen, um auf eine Änderung hinzuwirken. Ob das wirklich in jedem Einzelfall Fehlleistungen verhindert, sei dahingestellt.
Wie gut ist die Polizei in Sachen Abschiebung geschult?
Es gibt Defizite, aber auch Berichte, aus denen hervorgeht, dass "professionell" vorgegangen wurde. Es kann immer besser werden - was am meisten zielversprechend ist, sind kleine Schritte, die freilich nicht zu klein sein dürfen.
Hat Österreich ein Menschenrechtsproblem?
Bei der ärztlichen Betreuung von Schubhäftlingen gibt es etwa sehr konkrete Menschenrechtsprobleme. Andererseits gibt es Fälle, wo das Vorgehen der Behörden vom menschenrechtlichen Standpunkt aus durchaus unbedenklich ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Anwendung der Schubhaft bei Dublin-Fällen - also bei jenen Asylwerbern, für die Österreich nicht zuständig ist - als verfassungswidrig kritisiert.
Es gibt gerade in diesem Bereich, wo eine so große Masse von Fällen zu bewältigen ist, unausweichlich Probleme. Aber man darf nicht sagen: Das ist halt so, weil es so viele sind, sondern man muss darauf hinwirken, die Zahl der Problemfälle möglichst gering zu halten.
Und wie soll das gehen?
Steter Tropfen höhlt den Stein. Beobachten, hinweisen, anregen, kritisieren . . . Die Wunderlösung gibt es nicht, und wer etwas anderes behauptet, der lügt. Man darf nicht meinen, es gebe staatliche Verwaltung möglichst zum Nulltarif. Insbesondere seit 2000 wurde viel über Einsparungsmöglichkeiten von 3,5 oder sogar 5 Milliarden Euro im Jahr in der Verwaltung gesprochen, - bitte, das ist blanker Unsinn. Das zweite Problem ist die Meinung, der Staat dürfe nur ein lächelndes Gesicht haben. Die unsinnige Gleichsetzung des Staates mit einem Wirtschaftsunternehmen hat zur Folge, dass die nicht lächelnde Seite des Gesichts umso schrecklicher wahrgenommen wird.
Der Asylgerichtsgerichtshof soll ab Juli 2008 die aufgelaufenen Verfahren rascher abwickeln ...
Eine Beschleunigung der Asylverfahren wäre ein Beitrag zur Wahrung der Menschenrechte, denn es ist nicht menschlich, Leute allzu lange in einem rechtlichen Schwebezustand zu belassen.
Gibt es Punkte im Fremdenrechtspaket 2005, die einer Novellierung bedürften?
Die Frage, welche Bestimmungen des Fremdenrechts in welchem Umfang einer Novellierung bedürfen, ist eine Frage der politischen Position und der Erfahrungen aus der Vollzugspraxis.
Politisch wird über den Zeitpunkt der Evaluierung debattiert, 2009 ist vielen zu spät.
Man kann darüber sprechen, ob der Zeitpunkt 2009 adäquat ist oder nicht. Die Erfahrung zeigt, dass in manchen Fällen Probleme eines Gesetzes sehr rasch sichtbar werden - da kann man auf eine Evaluierung verzichten. In anderen Fällen hat man widersprüchliche Erfahrungen aus der Praxis, da bedarf es dann eines längeren Beobachtungszeitraums.
Wissen: Menschenrechtsbeirat
Der Menschenrechtsbeirat im Innenministerium wurde 1999 eingerichtet. Ihm gehören elf unabhängige Mitglieder an: Der Vorsitzende wird vom Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs vorgeschlagen, je ein Mitglied auf Vorschlag des Bundeskanzlers und der Justizministerin, fünf weitere auf Vorschlag privater gemeinnütziger Einrichtungen wie Caritas und Diakonie. Die übrigen drei Mitglieder werden durch den Innenminister ohne Vorschlag bestellt. Derzeit wird überlegt, den Beirat ins Parlament oder in die Volksanwaltschaft zu verlegen, um mehr Unabhängigkeit zu garantieren.
Der Beirat überprüft die Tätigkeit der Sicherheitsexekutive unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte und verfasst Empfehlungen an den Innenminister. Sechs Kommissionen evaluieren die Anhaltung von Menschen an Polizeidienststellen. Zudem gibt der Beirat Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen ab. Die jährlichen Berichte und sämtliche Stellungnahmen können im Internet abgerufen werden.
http://www.menschenrechtsbeirat.at