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Eine politische Zeitenwende in Großbritannien

Von Melanie Sully

Gastkommentare
Melanie Sully ist britische Politologin und Direktorin des in Wien ansässigen Instituts für Go-Governance. Sie hat unter anderem als Konsulentin für die OSZE und den Europarat in Straßburg gearbeitet und ist Mitglied des Royal Institute of International Affairs in London.
© Weingartner

Ein Machtwechsel hin zu Labour könnte den Tories helfen - doch die Probleme bleiben.


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In den späten 1970er Jahren stellte der damalige britische Premier James Callaghan von der Labour Party fest, dass es in der Politik in regelmäßigen Abständen Zeitenwenden gebe. Dagegen könne man nichts machen. Kurz danach zog Margaret Thatcher in der Downing Street ein, und die Tories blieben an der Macht - bis zum nächsten politischen Wandel im Jahr 1997 als Labour unter Tony Blair gewann.

Wir sind jetzt Augenzeugen einer Zeitenwende, die wiederum Labour begünstigen könnte. Es wird mühselig für die Tories, die seit zwölf Jahren an der Macht sind, etwas dagegen zu tun. Sie haben vier Wahlen hintereinander gewonnen. Ein fünftes Mal wäre sowieso ein neuer Rekord und wird von Tag zu Tag immer unwahrscheinlicher.

Boris Johnson holte im Jahr 2019 einen fulminanten Sieg für die Tories mit einer populistischen Politik für den "kleinen Mann". Labour-Hochburgen in Nordengland fielen wie Dominosteine um und in die Hände der Tories. Aber Johnson musste gehen. Prosecco, Geburtstagstorten und hausgemachtes Chaos machten ihm politisch den Garaus.

Die Konservativen im Parlament ließen die Tory-Basis zwischen Ex-Finanzminister Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss wählen. Beide waren im erfolglosen Team vom Johnson, und viele Mitglieder hätten sich an der Parteispitze eher ein neues Gesicht gewünscht wie Penny Mordaunt, die auf dem dritten Platz landete. Verteidigungsminister Ben Wallace trat gar nicht erst an. Der frühere Skilehrer, der auch in Österreich tätig war, ist bei der Parteibasis nach wie vor sehr beliebt.

Ex-Premier Johnson folgte keiner Ideologie. Er war weder Brexit-Hardliner noch EU-Fan. Er konnte deswegen die verschiedenen Tory-Gruppen lange Zeit zusammenhalten. In der Partei gibt es die Brexiteers mit einer Politik für die Wohlhabenden, die Abgeordneten aus Nordengland, die für Brexit waren, aber für die Arbeiter eintreten, und die "One Nation"-Tories, die eher sozial orientiert sind und gegen Brexit waren. Johnson hat Individualismus und Kollektivismus in einen dialektischen Einklang gebracht.

Unter seiner Nachfolgerin Truss drohte der Partei ein politisches Armageddon. Sie zertrümmerte nämlich ein Kernstück des Thatcherismus: die Hoffnung auf ein Eigenheim und sozialen Aufstieg. Die politische Mitte wurde Labour überlassen, und bei jenen Arbeitern, die 2019 zum ersten Mal die Tories gewählt haben, wird das wohl das letzte Mal gewesen sein. Truss hat Johnsons Politik geschreddet. Ihr neuer Finanzminister Jeremy Hunt hat notgedrungen ihr Wirtschaftsprogramm in den Mistkübel von Downing Street geworfen. Und die Meuterei auf dem Tory-Schiff ist noch lange nicht vorbei.

Schulden können weder Steuersenkungen noch staatliche Subventionen finanzieren. Das Land kann die Schulden nicht abbauen ohne internationale Hilfe, die es nicht mehr gibt, und nun sind auch die Pensionen gefährdet. Die Tories müssen ein drakonisches Sparprogramm ausarbeiten, das äußert unpopulär sein wird. Ein Machtwechsel zu einer Labour-Regierung könnte den Tories aus der Patsche helfen - aber die Probleme werden lange bestehen bleiben.