So schön sollte es sein, mit dem mythenumwobenen Orient-Express. Doch der einstige Glamour ist weg.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ha ha ha. Meine Istanbuler Freunde bogen sich vor Lachen. Sie fanden es eine Schnapsidee, mit dem Zug von Istanbul nach Wien zu fahren anstatt sich bequem für zweieinhalb Stunden ins Flugzeug zu setzen. Doch nach einem Jahr in der Türkei wollte ich mir für die Rückkehr 36 Stunden, zwei Nächte Zeit nehmen.
Der Orient-Express! Bücher wurden darüber geschrieben, Filme gedreht. Graham Greene ließ literarisch eine alte Dame ihren kleinbürgerlichen Neffen auf eine Reise mitnehmen, die ihn nie wieder zu seiner Dahlienzucht in London zurückführte. Agatha Christie ließ in dem Zug morden. Sean Connery hetzte als James Bond durch die Waggons. Glitzer und Glamour, Flucht und Ferne waren mit dem Namen Orient-Express verbunden.
Über Edirne, die ehemalige Hauptstadt der Osmanen, durch die grünen Hügel Bulgariens, vorbei an Nis in Serbien, wo sich alte Verkehrswege wie die Kaiserstraße kreuzen, über Belgrad mit seinem erleuchteten Burgberg, hinein in die Pusztalandschaft Ungarns, an den Pappelhainen am Donauufer vorbei bis nach Wien - so wollte ich reisen. So schön sollte es sein.
Allerdings: Den Orient-Express gibt es nicht mehr. Die Strecke wird nach Unterbrechungen während der Balkankriege zwar wieder befahren. Doch der Direktzug nach Wien wurde schon vor vielen Jahren abgeschafft. "Umsteigen in Belgrad", teilte der Mann am Schalter mit, bevor er den Fahrschein händisch ausfüllte und wie den Durchschlag dreifach abstempelte.
Die Züge nach Europa fahren vom Stadtteil Sirkeci ab. Ende des 19. Jahrhunderts von dem preußischen Architekten August Jachmund geplant, ist das Bahnhofsgebäude mit seinen Fensterbögen und Rosetten, den schmiedeeisernen Säulen und den Türmchen an der Hauptfassade voll der Verzierungen des Oriental-Historismus, der damals in Mode kam. Doch kaum in den Zug gesetzt, platzte der Traum vom Luxus. Ein Speisewagen? Der Schaffner lächelte nachsichtig über die Frage. Gibt es nicht. Er könne mir aber einen Tee machen in seinem Abteil, wo neben einer verrosteten Gasplatte ein serbisch-türkisches, ein bulgarisches und ein rumänisches Wörterbuch lagen.
Wir fuhren los, am späten Abend. Kaum eingenickt, pumperte es an der Tür. Es war die bulgarische Grenze, die Reisenden mussten zur Passkontrolle - aussteigen. Um drei in der Nacht drängten sich die verschlafenen, von der Kälte gebückten Menschen vor dem Schalter der Türken. Beim Duty-Free-Shop gab es an Essbarem nur Schokoriegel. Dann zurück in den Zug, warten auf die bulgarischen Zöllner. Die mussten immerhin die Grenze der EU verteidigen und sich das Gepäck genau ansehen. Zwischen den Unterhosen, in den Pulloverärmeln, in der Kosmetiktasche könnte ja etwas zum Verzollen versteckt sein.
Auf dem Bahnhof in Sofia, nach vierzehn Stunden Fahrt, hieß mich mein Schaffner aussteigen. "Ich kaufe dir etwas zu essen", sagte er, zog ein Bündel bulgarischer, serbischer und türkischer Banknoten hervor und ging mit mir zum nächsten Kiosk, wo ich voller Dankbarkeit zwei Sandwich in Empfang nahm.
In Belgrad rief er auf serbisch den Gepäckträger und gab ihm den Auftrag, mich zum Zug nach Wien zu bringen. Nur: Der fuhr von einem anderen Bahnhof ab, in einer halben Stunde. Das Gepäck in ein Taxi gehievt, schnell losgefahren, meinem Schaffner nachgewunken.
Im zweiten Zug erntete ich auf die Frage nach dem Speisewagen nur einen hämischen Grinser. Es waren ja bloß noch zwölf Stunden Fahrt. Aber musste sich der serbische Geschäftsmann im Abteil mit meiner rumänischen Sitznachbarin über die Vorzüge von Pleskavica unterhalten? Ich aß meinen letzten Schokoriegel.
Dann kamen die serbischen Zöllner, danach die Ungarn. Und irgendwann zogen sie vorbei, die Pappelhaine am Donauufer. Hungrig und müde betrachtete ich die goldgelben Blätter, die in der aufgehenden Sonne glühten. Noch drei Stunden bis Wien.