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Eine Revolution an der Wahlurne

Von Johann Wolfschwenger

Gastkommentare

Die neue Präsidentin in Moldau ist proeuropäisch. Europa war in ihrem Wahlkampf jedoch weniger präsent als sonst.


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Es gibt sie vielleicht doch noch: Revolutionen an der Wahlurne. Wehende (EU-)Fahnen und Massenprotete sind in osteuropäischen Ländern ein gängiges Mittel, um Oligarchen aus ihren Ämtern zu jagen - oft, um sie durch andere zu ersetzen. Man denke nur an die Massenproteste in Weißrussland oder an die Maidan-Proteste in der Ukraine vor einigen Jahren. Vergleichsweise ruhig hielt die Republik Moldau im November in zwei Wahlgängen die Präsidentschaftswahl ab. Maia Sandu, unterstützt von der Reformbewegung "Aktion und Solidarität" (PAS), hat diese Wahlen mit komfortablem Vorsprung - 57 Prozent der Stimmen - gegenüber Amtsinhaber Igor Dodon von der Partei der Sozialisten (PSRM) gewonnen.

Seit einigen Jahren sind Sandus Reformbewegung PAS und die Partei der Sozialisten des derzeitigen Präsidenten Dodon die bestimmenden politischen Kräfte im Land. Eine Koalitionsregierung zwischen den beiden Parteien, ging im November 2019 in einem Streit zu Bruch. Die folgende Regierung unter Premier Ion Chicu wurde de facto von Präsident Dodon eingesetzt.

Tumulte im Parlament

Der Wahlsieg Sandus hat folglich den positiven Effekt, dass die Präsidentschaft nun ein politisches Gegengewicht zur Regierung darstellt. Dies führte sogleich zu Forderungen nach vorgezogenen Parlamentswahlen, um eine ebenfalls proeuropäische Regierung einzusetzen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Sandu dafür eine Mehrheit im Parlament findet. Andererseits versuchen die Sozialisten in Absprache mit kleineren Parteien, sensible Gesetzesentwürfe durchs Parlament zu peitschen, da diese bis zur offiziellen Amtsübernahme noch von Dodon unterzeichnet werden. Dies hat Anfang Dezember gar zu Tumulten im Parlament geführt, da PAS-Abgeordnete den Abstimmungsvorgang blockierten.

Es wäre übertrieben zu behaupten, Sandu hätte keinen proeuropäischen Wahlkampf geführt. In der Tat stützt sie ihren Wahlsieg hauptsächlich auf proeuropäische Wähler in der Hauptstadt Chisinau und in der Diaspora. Ganze 260.000 der 1,6 Millionen abgegebenen Stimmen stammten von im Ausland lebenden Moldauern. Die europäische Orientierung war jedoch viel weniger Wahlprogramm als in der Vergangenheit. Stattdessen stellte Sandu in ihrer Kampagne ihre Integrität und ihre Glaubwürdigkeit unter dem Slogan "Gute Menschen" (gemeint sind integre Politiker) in den Vordergrund. Ihr Kontrahent präsentierte sich als jener Staatsmann, der die interethnischen Spannungen normalisieren kann, und warnte vor der Spaltung des Landes durch die proeuropäischen Kräfte. Die Integrität Dodons scheint jedoch an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Medienenthüllungen rücken Dodon in Verbindung mit dem Oligarchen Vladimir Plahotniuc und russischen Agenten.

Moderate außenpolitische Töne

Sandus Erdrutschsieg ist auch damit zu erklären, dass sie mit einem moderat proeuropäischen Kurs relativ hohe Zustimmung bei der konservativen ländlichen Bevölkerung erreichen konnte, die traditionell die Sozialisten wählt. Vermehrt wurde im Wahlkampf auch auf Russisch gesetzt, um sich an die 15 Prozent Russischsprachigen anzunähern. Außenpolitisch schlägt Sandu moderate Töne an. Sie hat angekündigt, einen balancierten Kurs zwischen Russland und der EU fortzusetzen, und muss sich damit gegen radikalere Strömungen innerhalb ihrer eigenen Bewegung durchsetzen. Die junge Partei PAS, die auch aus Massenprotesten im Jahr 2015 entstand, hat einen Reifeprozess hinter sich und ihre politische Basis verbreitert.

Zwar ist Sandu nicht die erste Frau an der Spitze eines osteuropäischen Landes, doch sie ist eine, die mit ihrer Partei einen nachhaltigen Reformprozess tragen könnte. Dazu muss sie die Glaubwürdigkeit und Integrität ihrer Partei auch gegen Einflussnahme von Oligarchen, gegen Provokationen der Sozialisten und gegen Denunziationen in den russischsprachigen Medien verteidigen. Revolutionen an der Wahlurne wie in Moldau versprechen eine demokratische Transformation im Kontext politischer Stabilität und stellen ein Gegenmodell zu den sogenannten Farben-Revolutionen oder der Maidan-Bewegung dar.

Unterstützung durch die EU

Die EU und ihrer Mitgliedstaaten sehen natürlich Staatschefs, die europäische Werte propagieren, gerne an der Macht. Allerdings wird die Auswirkung auf den EU-Integrationsprozess relativ gering bleiben, da dieser ohnehin von der Erweiterungs- und Integrationsmüdigkeit innerhalb der EU geprägt ist. Je mehr die "guten Menschen" die Oberhand gewinnen, desto eher werden aber Unterstützungszahlungen fließen und kleinere Integrationsschritte (etwa die Ausweitung der Sepa-Geldtransaktionen) folgen. Für die EU gilt es weiterhin, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes mit entsprechenden Programmen zu unterstützen, wie dies im Rahmen der Östlichen Partnerschaft schon der Fall ist. Russlands Reaktion wird vom zukünftigen außenpolitischen Kurs abhängen. Es ist aber anzunehmen, dass der Wahlsieg Sandus in Moskau nicht allzu viel Aufsehen erregt hat. Der russische Präsident Wladimir Putin hat bereits seine Glückwünsche übermittelt.