EU-Kommissarin Thyssen besuchte Österreich, um die umstrittene Entsendungsrichtlinie zu debattieren. Hierzulande wie in Europa spaltet diese die Meinungen.
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Brüssel/Wien. Die Entsenderichtlinie muss schon ein ganz besonderes Konstrukt sein. Denn je nachdem, mit wem man spricht, dient diese Richtlinie dazu, Lohn- und Sozialdumping zu verhindern oder massiv zu fördern. Und sie sorgt dafür, dass die Arbeitslosigkeit in Österreich steigt, oder sie schafft mehr Jobs und Beschäftigung. Diese Widersprüchlichkeit mag ein bisschen verwirrend sein, und dennoch liegt in jeder dieser Sichtweisen ein gewisses Maß an Wahrheit.
Die Entsenderichtlinie wurde vor bereits 20 Jahren erlassen und kann als Regelwerk verstanden werden, unter dem die Arbeitnehmer- und Dienstleistungsfreiheit in Europa organisiert wird. In ihr ist grundsätzlich festgehalten, dass in andere Länder entsandte Arbeitnehmer nicht geringer entlohnt werden dürfen als in diesem Land üblich. Die derzeitige Richtlinie hat jedoch Lücken, wie Kritiker, darunter Österreich, anmerken. Die EU-Kommission arbeitet derzeit an einer Neufassung, die Österreich jedoch bisher nicht weit genug geht. Unter anderem deshalb war am Donnerstag die für Arbeit und Soziales zuständige EU-Kommissarin Marianne Thyssen in Wien. Das Sozialministerium hatte zu einem Treffen mit anderen Nationen, darunter Schweden, Tschechien und Bulgarien, geladen.
Das Burgenland will die Entsenderichtlinie überhaupt abschaffen, wie unlängst Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ) forderte. Sie führe "zu ziemlichen Ungerechtigkeiten bei uns", erklärte Darabos. Die Wünsche aus dem Burgenland verwundern Thyssen. Würde man die Richtlinie einfach ersatzlos streichen, betont sie, gebe es gar keine Regulierung. "Das ist ja ein Schutz", sagt die EU-Kommissarin.
Debatte um maximale Dauer
Die Bundesregierung teilt die Position des Burgenlands übrigens nicht, auch nicht das von Alois Stöger (SPÖ) geführte Sozialministerium. Sehr wohl will man allerdings Verbesserungen erreichen. Für Stöger ist besonders die maximal geplante Entsendungsdauer von 24 Monaten viel zu lange. Derzeit ist dies ungeregelt. Nach zwei Jahren, so steht es im Entwurf, soll für die entsandten Beschäftigten das Arbeitsrecht des Aufnahmelandes gelten, Österreich will diesen Zeitraum deutlich verkürzen.
Ein kategorisches Nein dazu brachte Thyssen zwar nicht mit, was Stöger gerne hören wird, allerdings gab die EU-Kommissarin zu bedenken, dass eine Verkürzung die Mobilität der Arbeitskräfte einschränken und dies nicht das Ziel der Kommission sein würde. "Wir wollen ja die Mobilität fördern", sagt Thyssen. Derzeit beträgt die durchschnittliche Entsendedauer vier Monate. Wenn ein Beschäftiger eines international agierenden Unternehmens erst in Deutschland und dann in Frankreich einige Monate arbeiten würde, müsste er gemäß der Forderung Österreichs im Fall einer drastischen Verkürzung des maximalen Entsendezeitraums in die Versicherungsregime des jeweiligen Landes wechseln, was einen deutlich höheren bürokratischen Aufwand bedeutet und ein Mobilitätshindernis darstellt, wie Thyssen sinngemäß erklärt.
Dieses Szenario betrifft aber nur einen Teil der entsandten Arbeitnehmer. Es gibt auch jene, die nur in einem Land arbeiten. Jene, die bereit sind, für den Mindestlohn zu arbeiten, weil dieser noch immer deutlich über den Verdienstmöglichkeiten im Heimatland liegt. Jene, die auch in Kauf nehmen, dass sie gegenüber Arbeitnehmern im Aufnahmeland schlechter gestellt sind, etwa beim Kündigungschutz. Und das hat dann auch in dem Land Auswirkungen, in das entsandt wird.
Mitterlehner skeptisch
Nach Österreich kamen so im Vorjahr 150.000 Arbeitnehmer, allerdings waren auch Österreicher gemäß der Richtlinie im EU-Ausland beschäftigt - circa ein Drittel davon. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) warnte vor Wochen vor überbordenden Änderungswünschen des Koalitionspartners. "Verbote machen und niemanden mehr bei uns und von uns niemanden mehr im Ausland arbeiten lassen" führe zu mehr Arbeitslosigkeit, so der ÖVP-Chef.
Die geplanten Verschärfungen der Kommission sollen jedenfalls dazu dienen, Lohndumping durch die Hintertür zu unterbinden. So sind etwa in Österreich durch Kollektivverträge und/oder Betriebsvereinbarungen Prämien und Zulagen oft wesentliche Gehaltsbestandteile, die bisher entsandten Beschäftigten vorenthalten werden konnten. Genau das soll sich nun ändern.
Am Mittwoch, einen Tag vor Thyssens Besuch, hat der Nationalrat ein Lohn- und Sozialdumpinggesetz verabschiedet. Unter anderem wurde dabei auch eine Durchsetzungsrichtlinie beschlossen, wonach Arbeitgeber nach Österreich entsandten Mitarbeitern die gleichen Urlaubsansprüche und Ruhezeiten gewähren müssen wie heimischen Beschäftigten. SPÖ, ÖVP sowie Grüne und das Team Stronach votierten für die Regierungsvorlage, die FPÖ interessanterweise dagegen, und zwar mit dem Argument, dass die Maßnahmen "nicht viel nützen" würden. Seit März ist zudem das Bestbieterprinzip bei öffentlichen Ausschreibungen in Kraft. Zuvor hatte stets das billigste Offert verpflichtend den Zuschlag erhalten, was den Preisdruck in der Baubranche erhöhte und dazu beitrug, dass kaum noch über dem Kollektivvertrag entlohnt wird.
Brüssel sieht gelb
Die von der Kommission geplante restriktivere Formulierung der Entsenderichtlinie wird nicht nur von Österreich abgelehnt, sondern auch von anderen Mitgliedsstaaten. Das Problem dabei: aus gegensätzlichen Gründen. Vor allem in Zentraleuropa werden die Verschärfungen als Einschränkung des Wettbewerbs verstanden. Polen hat daher gemeinsam mit anderen Ländern die gelbe Karte gezückt. So heißt es, wenn ein Drittel der Mitglieder das Prinzip der Subsidiarität verletzt sieht. Das ist bisher erst zweimal passiert, und es ist unklar, wie die Kommission darauf reagiert.
Vor allem Polen, das beim Treffen der Sozialminister am Donnerstag nicht eingeladen war, was auch zu kleinen Irritationen geführt hat, war dabei maßgeblich für den Einspruch in Brüssel. Es liegt wohl auch an der Anzahl der Entsandten, der im Fall von Polen bei rund 300.000 liegt. Es macht die Änderung der Richtlinie so heikel: Die Interessen liegen sehr weit auseinander.