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Eine Rückkehr zum Nachdenken

Von Christina Böck

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Es ist eine beispiellose Marketingkampagne. Also für ein Buch. Man kennt solche Euphorie nur von neuen Apple-Produkten oder irgendwas mit "Star Wars". Aber was sich im englischsprachigen Raum in Vorfreude auf den Roman "Go Set a Watchman" von Harper Lee abspielt, erinnert an glorreiche "Harry Potter"-Zeiten.

Nun ist der Marketingtrick bei "Go Set a Watchman" ein organischer: Denn dieses Buch dürfte es gar nicht geben. Harper Lee hat mit "To Kill a Mockingbird" eine Art Nationalroman der USA geschrieben. Ein Sittenbild der rassistischen Südstaaten der 1930er Jahre, in dem ein anständiger Rechtsanwalt das beste Vorbild für seine Tochter ist. Danach hat Harper Lee nichts mehr geschrieben. Hieß es. Dann kam im Frühling die Nachricht, ein neuer Roman von Lee sei im Juli lieferbar. Es folgten Streitereien, ob es im Sinne der fast 90-Jährigen ist, dass ein Buch erscheint, das sie offensichtlich bisher nicht veröffentlicht sehen wollte. Die Fans von "To Kill a Mockingbird" - und das sind erstaunlich viele - kümmert es nicht. Sie werden im Netz üppigst bedient, etwa vom "Guardian", der zum gemeinsamen Lesen und online Diskutieren lädt. Stoff dazu gibt es genug: Immerhin wird der liberale Anwalt im neuen Roman zum Rassisten - in aufgeheizten USA, in denen zuletzt Polizeigewalt gegen Schwarze, das geforderte Verbot der Südstaatenflagge und ein rassistisch motivierter Amoklauf für Schlagzeilen sorgten, ein Denkanstoß zur Beleuchtung von Fehlentwicklungen. Dass der viel Publicity bekommt, ist zu begrüßen. Sein Vorgänger erschien übrigens kurz vor dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung.