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Eine Schiene von London bis Yiwu

Von Klaus Huhold und Thomas Seifert

Wirtschaft

Eine neue Seidenstraße: China will Dutzende Länder stärker an sich binden.


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Peking/Wien. Der Zug war vollgeladen mit Whiskey, Babymilch, Medikamenten und technischen Geräten. Das war noch nicht das Besondere, solche Güter exportiert Großbritannien täglich. Das Außergewöhnliche war die Verbindung: Der Zug fuhr von London in die ostchinesische Stadt Yiwu, und er war der erste Güterzug auf dieser Verbindung.

China expandiert wirtschaftlich zusehends: Schienenarme, Schiffsverbindungen und auch strategische Investitionen in Infrastrukturprojekte von anderen Ländern knüpfen immer engere Bindungen zu asiatischen Ländern, Europa und Afrika. Bekannt ist das Projekt, für das in Peking Milliarden Euro bereit liegen, als "Neue Seidenstraße". Die alte, historische Seidenstraße dient dabei als Anlehnung, und die neue Seidenstraße soll etwas noch viel Größeres werden.

Wie beim historischen Vorbild sollen auch diesmal die zentralasiatischen Länder eine große Rolle spielen - als Ader, durch die Rohstoffe nach China fließen, und als Geschäftspartner. Doch die neue Seidenstraße, unter die verschiedene Korridore des chinesischen Außenhandels zusammengefasst werden, reicht viel weiter - nicht nur nach London, auch nach Madrid gibt es bereits eine Zugverbindung. In Kenia, im Hafen von Mombasa, kommen von Handys bis zum Teegeschirr chinesische Waren an, während auf der Rückfahrt afrikanische Rohstoffe in die Volksrepublik geschifft werden.

In den kommenden Tagen soll das Projekt der neuen Seidenstraße noch einmal kräftig vorangetrieben werden: Staats- und Parteichef Xi Jinping empfängt in Peking ranghohe Regierungsvertreter aus 27 Ländern zu einer Konferenz. Erwartet werden bei dem Gipfel etwa Russlands Präsident Wladimir Putin oder die deutsche Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries.

Absage durch Österreich

Österreich sollte durch Verkehrsminister Jörg Leichtfried vertreten sein. Dieser hat nun aber wegen der jüngsten innenpolitischen Entwicklungen seinen Besuch abgesagt. Österreichische Wirtschaftsvertreter und Diplomaten sind enttäuscht: Österreichs Wirtschaft - das Land hat hohe Kompetenz in puncto Eisenbahntechnologie - hegt Hoffnungen, bei den Milliardenaufträgen zum Zug zu kommen. Die Stadt Wien etwa hofft, von der exzellenten Anbindung an das europäische Schienen- und Straßennetz und der Möglichkeit, in Wien Güter von der Schiene auf die Wasserstraße umzuschlagen, profitieren zu können.

Die österreichische Botschafterin wird nun die Vertretung des Ministers wahrnehmen. Auf Kritik wegen der Absage Leichtfrieds reagiert man im Ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie damit, dass die Anwesenheit von Minister Leichtfried in Wien durch den den Rücktritt des Vizekanzlers sowie Wirtschafts- und Wissenschaftsministers Reinhold Mitterlehner unabdingbar sei, weil man mit einer tief greifenden Regierungsumbildung rechne. Nach bisherigen Äußerungen von Vertretern des Koalitionspartners sei nicht einmal ein Fortbestehen der Regierung sicher. "Unter diesen Rahmenbedingungen ist eine mehrtägige Abwesenheit des Bundesministers nicht vertretbar", heißt es aus dem Ministerium. Wirtschaftskreise sprechen von einer "verpassten Chance" für höchstrangige Treffen.

Denn China hat offenbar bei dieser Konferenz Großes vor. Das geht zumindest aus dem Entwurf für eine gemeinsame Erklärung hervor, der der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. Demnach soll das Treffen ein neues Zeitalter der internationalen Zusammenarbeit anstoßen: "Es hilft, ein neues Zeitalter der Globalisierung zu etablieren, das offen ist, allen nützt und alle einschließt", heißt es in dem Entwurf.

Selbstlos handeln Xi und seine Kommunistische Partei (KP) aber freilich nicht. Bei einer Diskussionsveranstaltung der Wiwipol (Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche Wirtschaftspolitik) im Wiener Haus der EU listete der frühere hochrangige EU-Kommissionsbeamte Heinz Zourek die Ziele auf, die China seiner Ansicht nach mit der neuen Seidenstraße verfolgt.

So wurden der Westen und das Zentrum Chinas von dem wirtschaftlichen Aufschwung Chinas nicht so mitgenommen wie der Osten. Während im Osten hochmoderne Wirtschaftsmetropolen wie Shanghai das neue, glitzernde China repräsentieren, schaut es im Westen vielerorts noch aus wie in einem Entwicklungsland - was wiederum der KP Sorgen macht. "Das führt zu einer Destabilisierung des Systems und muss daher geändert werden", sagte Zourek. Viele Routen der neuen Seidenstraße gehen nun genau durch diese weniger entwickelten Regionen und sollen deren Aufschwung bringen.

Konkurrenten Russland, USA

Zudem sei das Projekt eine Reaktion Pekings auf die schwächelnde Weltnachfrage. Die Exportnation China wolle eine neue Wachstumsinitiative schaffen. Darüber hinaus sei die neue Seidenstraße laut Zourek auch eine Antwort auf das von den USA unter Barack Obama vorangetriebene Handelsabkommen TPP und wirtschaftliche Allianzen, die Russland zu schließen versucht.

China hat ein ambivalentes Verhältnis zu Russland - einerseits will es auf die russischen Rohstoffe zugreifen und das flächenmäßig größte Land der Welt in die Seidenstraßen-Initiative einbinden. Andererseits sind die Machthaber in Moskau ein Konkurrent bei dem Wettstreit um Einflusssphären.

Man sollte nicht vergessen, dass auch Russland in der Vergangenheit immer wieder eurasische Träume ventilierte. Die eurasischen Ideen gehen in Russland auf die 1920er Jahre zurück. Die Vertreter des Eurasismus, russische Intellektuelle, sahen Moskau als Dreh- und Angelpunkt eines eurasischen Kontinents, den sie als Antagonisten zur "romano-germanischen" westlichen Welt sahen. Der rechtsextreme Alexander Geljewitsch Dugin (zeitweise Berater von Wladimir Putin) gilt als einer der Chefideologen, die eine Renaissance Russlands durch die Eurasische Wirtschaftsunion vertreten. Dieses Konzept traf freilich in Europa auf wenig Gegenliebe und Moskau kommt damit auch in eine Konfrontationsstellung zu Peking, das die Führungsrolle in Asien wohl für sich selbst beanspruchen wird.

Der größte Konkurrent Chinas sind aber freilich die USA. Deren Präsident Donald Trump hat immer wieder auf China hingeprügelt und scheint die Volksrepublik als größten Feind der USA ausgemacht zu haben. Ironischerweise hat aber genau Trump China eine Steilvorlage geliefert, indem er von TPP, der Transpazifischen Partnerschaft, nichts mehr wissen will. Diese hätte verschiedene pazifische Staaten, darunter auch asiatische wie Japan, Malaysia oder Singapur, näher an die USA angebunden. Die Obama-Administration hatte China absichtlich vor der Tür stehen lassen - um eben den Einfluss der Volksrepublik zurückzudrängen. Nun hinterlässt der Rückzug der USA aus TPP ein Vakuum, in das China stoßen kann.

Die neue Seidenstraße, davon sind viele Beobachter überzeugt, ist nun ein Projekt, durch das China Asien und Europa näher an sich binden und von den USA wegdrängen will. Die Wiederbelebung der Seidenstraße ist damit Ausdruck des geopolitischen Erwachen Chinas und vielleicht auch der Schienenstrang in Richtung einer neuen multipolaren Weltordnung.

Keine Weltinsel-Idee?

China betont aber stets, dass es sich bei der Entwicklung des Seidenstraßenwirtschaftsgürtels um einen "inklusiven Prozess" handeln soll. Genau das wird Präsident Xi Jinping am Sonntag bei seiner Rede bei der Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel-Konferenz wieder betonen.

China verzichtet auch ganz bewusst auf Referenzen auf das Konzept von Halford Mackinders "Weltinselmodell". Die Idee des britischen Geografen Mackinder ist so simpel wie faszinierend: Die eurasische Landmasse und Afrika bilden die größte zusammenhängende Landmasse auf diesem Planeten. Wer diese Landmasse kontrolliere, der kontrolliere am Ende die Geschicke der Welt. Die Rohstoff- und Bevölkerungsressourcen dieses gigantischen Superkontinents würden letztlich diese Weltherrschaft ermöglichen. Diese Ideen Mackinders stammen freilich aus dem Jahr 1904 - dem Zeitalter des Imperialismus. Dass das Reich der Mitte jede Assoziation mit dem Imperialismus des britischen Empire vermeiden will, liegt auf der Hand.

"Die Introvertiertheit in Europa und eine Identitätskrise der Vereinigten Staaten haben zur Folge, dass es ein gewisses Klima des Vakuums in vielen Teilen der Welt, aber speziell in Eurasien gibt. Ein längerfristiger Niedergang des Westens, der zu einer Art informeller chinesischer Hegemonie führen kann, ist durchaus im Bereich des Möglichen", schreibt der 2014 bei einem Taliban-Angriff in Kabul ermordete Woodrow-Wilson-Institut-Experte Alexandros Petersen in seinem 2011 erschienenen Buch "The World Island" ("Die Weltinsel").

China spricht aber lieber von Partnerschaften und Zusammenarbeit, als von imperialen Ambitionen. Erste Schritte zeichnen sich bereits ab. So dienen die neu gegründete Asiatische Infrastrukturinvestmentbank und der eigens geschaffene Seidenstraßenfonds der Finanzierung der Initiative. Im Mai 2015 einigten sich Russland und China auf die Verknüpfung der Seidenstraßeninitiative mit dem russischen Entwicklungsprogramm für Sibirien sowie der Eurasischen Wirtschaftsunion. Zudem haben im Juni Ungarn und China eine Absichtserklärung unterzeichnet, wonach beide Staaten gemeinsam die Seidenstraßeninitiative vorantreiben wollen.

Inklusion oder Vorherrschaft?

Aber wie China sich dabei verhalten wird, wird erst die Zukunft zeigen - inwieweit die Volksrepublik Kooperationen sucht, inwieweit sie nur Technologie absaugen will, inwieweit sie mit immer größerem wirtschaftlichen Einfluss auch politisch die Muskeln spielen lassen wird. Chinas Hinausgehen in die Welt löst daher gemischte Reaktion aus.

Der SPÖ-Abgeordnete Peter Wittmann betonte bei der Diskussionsveranstaltung der Wiwipol den inklusiven Ansatz, den China bei der Seidenstraße verfolge. Westliche Staaten versuchten, ihre Beziehungen über Wirtschaftsabkommen zu regeln, die dann mit Leben gefüllt werden. "Wer nicht Teil des Abkommens ist, ist draußen."

Anders China: Es stelle Strukturen wie etwa prall gefüllte Fonds für Infrastrukturprojekte zur Verfügung. "Wer sich einklinken will, kann mitmachen." Handelsabkommen seien dann eine Folge der Zusammenarbeit. Diese Inklusion sei das Besondere am Projekt der Seidenstraße, die Wittmann als "Riesenchance" sieht - nicht zuletzt auch für österreichische Unternehmen, für die sich in dem großen Wirtschaftsraum neue Geschäftsmöglichkeiten aufmachen.

Pessimistischer äußerte sich ein EU-Diplomat gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Das ist keine Win-Win-Situation, wie die Chinesen sagen", sagte er. "China sucht die Vorherrschaft."

Die Frage ist aber auch, welche Alternativen die europäischen Staaten haben, die selbst ihre Wirtschaften wieder besser in Schwung bringen wollen. "Es gibt sonst zur Zeit keine andere Initiative, die eine Wachstumsperspektive schafft", betont jedenfalls Zourek.