Zum Hauptinhalt springen

Eine Schmach für die einstigen Volksparteien

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik
Schwer geschlagen: die Konservative Pecresse.
© reuters / Gonzalo Fuentes

Die Kandidatinnen von Sozialisten und Republikaner sind erneut untergegangen. Das lässt Frankreichs politische Landschaft beben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Erdbeben kündigen sich nicht an, sie treten unerwartet auf. So ein Erdbeben hat Frankreichs politische Landschaft vor fünf Jahren erlebt, als erstmals die beiden Volksparteien, die jahrzehntelang wechselseitig die Präsidenten des Landes gestellt hatten, bei der Präsidentschaftswahl die zweite Runde verfehlten und stattdessen mit Marine Le Pen und Emmanuel Macron eine Rechtspopulistin und ein Newcomer ins Finale einzogen.

Macron siegte mit seinem Versprechen einer Politik der "Gleichzeitigkeit" - indem er links "und zugleich auch" rechts sei, eine Art Große Koalition in Personalunion, werde er überkommene ideologische Spaltungen aufbrechen, verkündete er. Seiner noch jungen Partei gelang es zwar nicht, ein klares Profil zu entwickeln und mehr zu werden als eine Art Präsidenten-Fanclub, dessen Mitglieder im Parlament Macrons Projekte schnellstmöglichst durchwinken sollten. Doch damit war La Republique en marche dank der Mehrheit in der Nationalversammlung erfolgreich oder, mit den Worten der Macron-Leute: effizient.

Bei der ersten Runde der diesjährigen Präsidentschaftswahl folgte nun das Nachbeben - wieder stehen sich Macron und Le Pen in der Stichwahl gegenüber. Für die Parteienlandschaft dürfte es mindestens so folgenreich sein wie das erste Beben vor fünf Jahren. Die Kandidatinnen der Sozialisten und der Republikaner, Anne Hidalgo und Valerie Pecresse, blieben sogar unter den notwendigen fünf Prozent, um Wahlkampfausgaben vom Staat erstattet zu bekommen. Es ist eine absolute Schmach für die beiden einstmals so stolzen Parteien, die es nicht geschafft haben, die Menschen noch anzusprechen. Und es ist auch die Folge von Macrons Strategie, Anleihen von links und vor allem von rechts zu nehmen und bisherige Trennlinien zu verwischen.

Neue Blöcke haben sich herausgebildet

Dafür bildeten sich neue Trennlinien umso stärker heraus. Sie verlaufen zwischen Befürwortern und Gegnern einer europäischen Ausrichtung des Landes. Zwischen den Anhängern des Multilateralismus und von Souveränisten, die nationale Alleingänge und eine Abkehr von der Nato fordern - ausgerechnet in Zeiten, in denen Russlands Krieg gegen die Ukraine die Notwendigkeit einer starken, gemeinsamen westlichen Antwort vor Augen führt. Die gegnerischen Blöcke bilden einerseits Verfechter demokratischer Werte und andererseits Politiker, die mit illiberalen internationalen Partnern flirten.

Der erste ist nur noch vertreten von Macron, der als Favorit in die Stichwahl in knapp zwei Wochen geht, aber kämpfen müssen wird. Zum zweiten zählen die Populisten von rechts und links, Le Pen und Jean-Luc Melenchon, die jeweils mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen erhielten. Mit größerem Abstand dahinter folgte der Rechtsradikale Eric Zemmour. Insgesamt gaben mehr als die Hälfte der Wähler Le Pen, Melenchon oder Zemmour ihre Stimme. Das muss ein Weckruf sein.

Macron ließ am Wahlabend anklingen, dass er ihn gehört hat, indem er sagte, nichts könne mehr wie vorher sein. Er sei bereit, "etwas ganz Neues zu erfinden, um die verschiedenen Überzeugungen zu vereinen" und die Rechtsextreme Le Pen von der Macht fernzuhalten.

Groß ist nun das Rätselraten darüber, was Macron mit seiner Ankündigung eines Stilwechsels meinte. Möchte er wirklich mehr Debatten zulassen und den Parlamentariern größeren Spielraum zugestehen? Das erscheint dringend notwendig in einem Land, in dem eine Mehrheit der Wähler den Extremen zuneigt. Ein drittes Erdbeben in spätestens fünf Jahren wäre fatal für Frankreich und Europa.

Thema: Wahlen in Frankreich