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Der Umsturzversuch gegen Premier Jazeniuk könnte nur eine Inszenierung von Präsident Poroschenko gewesen sein. | Die beiden Politiker vertreten nämlich dieselben Interessen. Und zwar die von Oligarchen.
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Kiew/Berlin. Für gewöhnlich ist der Wille des Präsidenten in den meisten postsowjetischen Ländern Gesetz. Die Staatsoberhäupter regieren ihr Land direkt über die Präsidialadministration, das Parlament ist auf Linie gebracht oder hat generell nicht viel zu sagen. Der Ministerpräsident fungiert als eine Art ausführendes Organ präsidentieller Politik. Das politische System ist auf einen Chef zugeschnitten, einen starken Mann, der Stärke und Macht demonstriert und demonstrieren muss, um auf der politischen Bühne seines Landes ernstgenommen zu werden - wie etwa in Russland, Belarus oder Kasachstan.
So gesehen sieht die Lage auf den ersten Blick für Petro Poroschenko nicht gerade rosig aus. Der ukrainische Präsident hatte am Dienstag seinen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk unmissverständlich zur Demission aufgefordert und sich sogar mittels einer TV-Ansprache an die Bevölkerung gewandt. Jazenjuk solle zurücktreten, um "das Vertrauen in die Regierung wiederherzustellen", gab der Präsident bekannt. Dazu reiche nicht länger die Therapie, "es bedarf der Chirurgie". Poroschenkos Fraktion kündigte an, die nötigen Stimmen für ein Misstrauensvotum gesammelt zu haben, alle rechneten mit dem Sturz des Premiers, der in der Bevölkerung denkbar unbeliebt ist.
Bei der abendlichen Abstimmung sah dann aber plötzlich alles ganz anders aus: Nur 194 Abgeordnete votierten für Jazenjuks Abgang. 226 Stimmen wären für eine Absetzung nötig gewesen. In einem gewissermaßen gewöhnlichen, autoritär regierten postsowjetischen Land wäre das die schlimmstmögliche Blamage für einen Präsidenten. Die Ukraine ist freilich kein gewöhnliches postsowjetisches Land. Der Politologe Kyryl Savin vermutet sogar, dass das, was sich am Dienstagabend im ukrainischen Parlament ereignete, zwischen Poroschenko und Jazenjuk abgesprochen war. "Es gibt Indizien, die darauf hindeuten, dass das ein für die Öffentlichkeit inszeniertes Theaterstück war", sagte der Ukraine-Experte der Akademie der Deutschen Welle, des staatlichen deutschen Auslandsrundfunks, der "Wiener Zeitung".
So hätten 22 Abgeordnete des "Block Poroschenko" nicht gegen Jazenjuk gestimmt, obwohl sie sich im Plenarsaal befanden und obwohl es sich dabei um besonders Präsidenten-loyale Geschäftsleute gehandelt habe. "Mit diesem Manöver steht Poroschenko nach außen immer noch als guter Präsident da, der alles Menschenmögliche versucht habe, nach der Art: Ich habe einschneidende Reformen gewollt, aber das böse Parlament hat die Umsetzung verhindert", meint Savin. In Wahrheit seien Poroschenko wie Jazenjuk eng mit den oligarchischen Strukturen in der Ukraine verbunden.
"Euro-Optimisten" kämpfen gegen die alte Garde
Das betont auch Susan Stewart, Ukraine-Expertin bei der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Front verlaufe nicht so sehr zwischen Jazenjuk und Poroschenko als zwischen reformorientierten Kräften - den sogenannten "Euro-Optimisten" - und jenen Leuten, die von der gegenwärtigen Oligarchenwirtschaft profitieren und die sie erhalten wollen. Zu Letzteren gehört nach Ansicht Stewarts auch Jazenjuk: "In der Ukraine wird davon gesprochen, dass der Ministerpräsident von prominenten Oligarchen unterstützt wird, unter anderem von Rinat Achmetow", sagt Stewart.
Achmetow hatte über Jahre den gestürzten Ex-Präsidenten Wiktor Janukowitsch unterstützt, in der Zeit der Maidan-Revolution verhielt er sich vermittelnd. "Der Premier wird als Teil der alten Netzwerke gesehen, als Freund der Oligarchen, der deshalb auch wenig Interesse an Reformen im rechtsstaatlichen Bereich haben dürfte", analysiert Stewart.
Aber auch Poroschenkos Reformer-Image habe mehr als nur gelitten. Der Präsident würde in der Ukraine mittlerweile vor allem als Hindernis für Reformen wahrgenommen. "Poroschenko ist nicht bereit, seinen Einfluss auf die Justiz aufzugeben. Die Richter sind ja zum Teil de jure, mehr noch de facto immer noch der Exekutive untergeordnet. Auch von seinen Unternehmen trennt Poroschenko sich nur sehr zögerlich, obwohl der Präsident vor seiner Amtszeit versprochen hatte, das zu tun", kritisiert Stewart.
Timoschenko verlässt Koalition und stellt sich gegen Jazenjuk
Ministerpräsident Jazenjuk kämpft derweil um den Fortbestand seines extrem fragilen Kabinetts, dessen Machtbasis schrumpft. Am Mittwoch verließ die Partei "Vaterland" von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko, für die Jazenjuk einmal selbst kandidiert hatte, die Regierungskoalition. Timoschenko, selbst nicht gerade ein Unschuldslamm in Sachen Korruption, nahm den Premier unter Beschuss und warf ihm vor, dass es bei der Abstimmung am Dienstagabend "massiven Stimmenkauf" gegeben habe. Die drei verbliebenen Parteien - Jazenjuks "Volksfront", der "Block Poroschenko" und die Partei "Selbsthilfe" des Lemberger Bürgermeisters Andryj Sadowyj - verfügen formal zwar noch über eine Mehrheit im Parlament.
"Der Zusammenhalt zwischen und in den Regierungsparteien bröckelt allerdings", gibt Stewart zu bedenken. Einzig die Angst vor sonst drohenden Neuwahlen, die vor allem für Jazenjuks "Volksfront" desaströs enden würden, hält die Partner noch zusammen. Eine Arbeitsgrundlage für eine Reformkoalition, die den immensen Berg an Problemen in der Ukraine abarbeitet, sieht freilich anders aus.