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Eine Schulverwaltung für 66 Millionen Einwohner

Von Ernst Smole

Gastkommentare

Gastkommentar: Die Struktur des österreichischen Bildungssystems stammt aus der k. k. Monarchie. Das Autonomiepaket der Bundesregierung geht mit Riesenschritten in die falsche Richtung.


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"Schulautonomie" ist ein Begriff, der sowohl eint als auch trennt. Alle befürworten die Schulautonomie, doch wenn es um ihre konkreten Ausprägungen geht, differieren die Anschauungen bis hin zum Streit. Die Autonomiestudie der OECD aus dem Jahr 2013 jedenfalls hat die Schulautonomie vom Nimbus des Allheilmittels für alle schulische Gebrechen befreit und klargestellt, dass sowohl die erfolgreichsten als auch die qualitativ schwächsten Schulsysteme weltweit über einen hohen Grad an Autonomie verfügen.

Autonomie ja -aber welche?

Welche Form der Autonomie benötigt die Schule? Autonomie wird heute bereits an Österreichs Schulen praktiziert - das Spektrum der Ausprägungen ist breit. Eine solche ist die schulische "Guerilla-Autonomie", wie das heimliche Ignorieren von schulbehördlichen Anordnungen als Zeichen des Frustes und als Akt des Widerstandes gegen die Regulierungsflut. Es gibt aber auch verantwortungsgeleitete, standortspezifische Modelle, die etwa durch schulautonom geschaffene, informelle Feedback-Ebenen die Schulentwicklung im Interesse der Optimierung des Unterrichtes der einzelnen Lehrpersonen vorantreiben und so von konkretem Nutzen für alle Schüler sind.

Funktionierende Autonomie ist von vier Kennzeichen geprägt: von der grundsätzlichen Bereitschaft der Menschen, eigenverantwortlich zu denken und zu handeln, von einer klaren personellen (nicht gremialen!) Verortung von Entscheidungsverantwortung, von feedbackgebender weisungsfreier Kontrolle und von greifbaren Konsequenzen aus eben dieser. Schulautonomie entsteht durch Deregulierung, nicht durch "80 neue Gesetze und 500 neue Detailbestimmungen", wie es die Bildungsministerin jüngst formuliert hat.

EndloseSchulverwaltungswege

Erwiesen ist, dass Schule dort am besten funktioniert, wo die Hierarchiestrecke zwischen der Schule und dem Schulträger/Dienstgeber möglichst kurz ist. Dies trifft bei kommunal getragenen öffentlichen Schulen und bei vielen Privatschulen in freier Trägerschaft zu - hier ist dies ein einziger Schritt. Alle Entscheidungen finden am Schulstandort statt - und vor allem in sehr kurzer Frist.

Das Gegenteil davon: Die eben erst erfolgte Besetzung der Leiterposition eines BRG in der Steiermark hat drei Jahre gedauert, eine andere gar knapp sieben Jahre, obwohl es in beiden Fällen geeignete Bewerber gab. Schulträger beziehungsweise Dienstgeber der Gymnasien ist der Bund. Daher ist die Hierarchiestrecke eine besonders lange und komplizierte.

Alle drei Jahre bringen Bildungsministerium und Bifie den mehrbändigen "Nationalen Bildungsbericht" heraus. Jener von 2015 überrascht im 2. Band mit einer internationalen Vergleichsstudie, die die Struktur und die Kosten von Schulverwaltungen in Beziehung zur Einwohnerzahl der untersuchten Länder stellt. Gemäß dieser Untersuchung müsste Österreich 66 Millionen Einwohner haben, um seine sündteure, ausufernde Schulverwaltungsstruktur zu legitimieren.

Historiker bezeichnen dieses Ergebnis als plausibel, denn Österreichs Schulverwaltungsstruktur stammt aus der k. k. Monarchie, und diese hatte 52 Millionen Einwohner. Als Hierarchiestationen sind seither die Gewerkschaft und die Genderbehörden hinzugekommen, die unverzichtbar sind - und rasch ist man bei den in der Studie für Österreich ausgewiesenen 66 Millionen Einwohnern. Noch Fragen?

Sündenfall Bildungsdirektionen

Die Abschaffung der Landesschulräte wurde ministeriumsseitig als "Abschaffung von 500 Dienstposten" kommuniziert - man übersah, dass es sich hier um die ehrenamtlichen Mitglieder der Kollegien der Landesschulräte handelte. Das neue Türtaferl für diese Behörde - "Bildungsdirektion" - ist verhängnisvoll und allein von der Begrifflichkeit her gegen echte Autonomie gerichtet. Die Bildungsdirektionen werden "nachsteuern", was immer dies in der Praxis heißen wird. Direktion sollte es eine einzige geben: jene an der Schule. Diese geplante Bund/Landesbehörde wird der eigentliche Grund für das Scheitern des vorliegenden Autonomiepaketes der Bundesregierung sein. Dies auch aufgrund der sogenannten Entpolitisierung der Auswahl der Bildungsdirektoren: Diese erfolgt gemeinsam durch die Bildungsministerin und den jeweiligen Landeshauptmann, der dann Präsident dieses Anti-Autonomie-Molochs sein darf. Entpolitisiert?

Trennung von schulischer Legislative und Exekutive

Unser Schulsystem gleicht einer Bank, die über keine Außenrevision verfügt. Der Bund kontrolliert sein eigenes Schulsystem. Diese Kontrolle funktioniert nachweislich nicht - man denke nur an die bis zu 40 Prozent der 15-Jährigen, die zumindest eine der Grundkompetenzen nicht beherrschen. Österreich verfügt, auf die Schülerköpfe bezogen, über eines der teuersten Bildungssysteme der Welt. Effektivität und Effizienz sichern würde ein System, das jeder Gebietskörperschaft jene Aufgaben zuweist, die sie am besten leisten kann.

Der Bund sollte die Rahmengesetzgebung und die Organisation einer glaubwürdigen, weil weisungsfreien Kontrolle sichern, die Durchführung von Schule (Schulträger/Dienstgeber) sollte primär bei den heute hoch entwickelten und leistungsfähigen Kommunen liegen, die ein neuer Finanzausgleich mit den entsprechenden Ressourcen versehen müsste, und die Länder sollten mit schlanken, parteipolitikfreien Servicestellen mit dazu beitragen, dass Österreichs Schulsystem von einem Faktor des Dauerärgers zu einem Erfolgsmodell wird und so allmählich aus den auch die Politik schädigenden negativen Schlagzeilen verschwindet. Im Idealfall gewinnen Gemeinden, Länder und Bund. Machtverlust? Für niemanden!

Ceterum: die Unterrichtsqualität

Weltweit werten alle Studien zu den Bedingungen für ein Gelingen von Schule die Unterrichtskunst der einzelnen Lehrperson als zentralen Faktor, und mit steigender Unterschiedlichkeit der Schüler gewinnt dieser immer weiter an Gewicht. Aktuelle Untersuchungen sprechen von einem Gelingensanteil des Unterrichtes von 80 bis 90 Prozent. Die restlichen 10 bis 20 Prozent betreffen Strukturfragen wie etwa die Schulautonomie. Ein weiterer bedeutender Faktor sind konstruktive Ruhe und Gelassenheit im Schulbetrieb, die Grundlage für erfolgreiches schulisches Lehren und Lernen sind. Doch genau diese produktive Ruhe wird das vorliegende Autonomiepaket nicht bringen - eher das Gegenteil.

Man kann nur hoffen, dass sich möglichst viele Akteure der Schule und Vertreter schulbezogener Wissenschaftsdisziplinen ungefragt aktiv und öffentlich in den Begutachtungsprozess des Autonomiepaketes einbringen.

Zum Autor

Ernst Smole

ist Musiker und Musikerzieher, war Berater der Unterrichtsminister Fred Sinowatz, Herbert Moritz und Helmut Zilk, lehrte an der Konservatorium Wien Privatuniversität und leitet den Nikolaus Harnoncourt Fonds Wien.