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Eine schwierige Vermittlerrolle

Von Martyna Czarnowska

Politik

Wenn Österreich am Sonntag den EU-Vorsitz übernimmt, wird es die Funktion eines Mediators erfüllen müssen. Doch die aktuellen europäischen Debatten und die eigenen Schwerpunkte liefern genug Stoff für Zwistigkeiten.


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Brüssel/Wien. Es erschließt sich nicht immer auf den ersten Blick, was ein Land mit seiner Installation aussagen möchte. Und manches Mal wird es selbst später nicht völlig nachvollziehbar - wenn es auch durchaus sympathisch ist. Die Luxemburger beispielsweise stellten Liegestühle auf, und die Letten ließen Tanzschritte auf dem Boden markieren. Jedes halbe Jahr wechselt die Dekoration im großen Eingangssaal des Justus-Lipsius-Gebäudes auf dem Brüsseler Schuman-Platz. In dem Haus gegenüber der EU-Kommission saßen früher die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihren Gipfeltreffen zusammen, bevor die Sitzungen in neue Räumlichkeiten gleich nebenan verlegt wurden. Dennoch werden noch immer im alten Gebäude Skulpturen oder Schautafeln aufgestellt, Bilder projiziert oder Objekte von der Decke hängengelassen. Es soll ein Gruß aus dem Mitgliedsland sein, das gerade den EU-Vorsitz innehat.

Österreich, das am Sonntag diese Funktion von Bulgarien übernimmt, will dabei ein kulturelles Zeichen setzen. "Ein Museum in der Nussschale" prangt auf dem begehbaren Kubus, in und auf dem Exponate aus den Bundesmuseen abgebildet sind. Zum Auftakt der Ratspräsidentschaft soll es außerdem Musik aus Österreich in Brüsseler U-Bahn-Stationen geben.

Weniger harmonisch wird es hingegen bei den Debatten zugehen, die laufende Ereignisse und das eigene Arbeitsprogramm Österreich auferlegen. Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens und über den künftigen Finanzplan für die Union, Migration und Flüchtlingspolitik - beim Umgang mit diesen Themen sind sich die Mitgliedstaaten alles andere als einig. Und obwohl Wien in einigen Punkten sehr klare Ansichten vertritt, wird es im kommenden Halbjahr als Vermittler auftreten und einen Ausgleich zwischen diversen nationalen sowie EU-Interessen suchen müssen. Diese Aufgaben hat ein Vorsitzland weiterhin zu erfüllen, selbst wenn andere mittlerweile entfallen. Mit der Etablierung des Postens eines permanenten Ratspräsidenten, der die EU-Gipfeltreffen einberuft und leitet, sind die Bedeutung und der Spielraum einer rotierenden Präsidentschaft nach 2009 nämlich gesunken. Deren Agenda ist sowieso stark an das aktuelle Geschehen und bereits formulierte Vorhaben geknüpft.

Straffer Zeitplan

So wird sich in den kommenden Monaten weiterhin vieles um den Brexit und das EU-Budget drehen. Denn die Gespräche über den gesamten Austrittsvertrag der Briten sollten im Herbst abgeschlossen sein. Nur dann wäre eine rechtzeitige Ratifizierung durch das EU-Parlament sowie das Abgeordnetenhaus in London möglich - ist die Trennung von der Union doch schon für Ende März des kommenden Jahres angesetzt. Ob sich der Zeitplan einhalten lässt, ist ebenso offen wie die Frage, wie künftig die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zum Königreich gehörenden Nordirland aussehen wird. Die Beratungen der zuständigen Minister der verbleibenden 27 EU-Staaten wird eben Österreichs Vertreter leiten - auch wenn der ständige Brexit-Chefverhandler der Union der Franzose Michel Barnier ist.

Wien wird danach trachten müssen, die Einheit der 27 Mitglieder zu bewahren. Eine Einheit, die nicht nur in London, sondern wohl ebenso in manch anderer Hauptstadt überrascht hat - und die die EU in eine starke Verhandlungsposition gebracht hat.

Wer zuständig sein soll

Mit einem derartigen Gemeinschaftsgeist kann Österreich bei den Gesprächen über den Haushaltsrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 hingegen nicht rechnen. Es selbst gehört zu den sogenannten Nettozahlern, die mehr zum EU-Budget beitragen, als sie daraus bekommen. Den Vorschlag der EU-Kommission, künftig generell mehr Geld für die Union zur Verfügung zu stellen, lehnt Wien daher fürs Erste ab. Befürworter finden sich umgekehrt in osteuropäischen Staaten, die von den Förderungen für Infrastruktur und Landwirtschaft besonders profitieren. Allerdings hat sich ebenfalls Nettozahler Deutschland bereit erklärt, unter Umständen seine EU-Beiträge zu erhöhen.

Eine Entscheidung über den langjährigen Finanzplan unter österreichischem Vorsitz ist freilich nicht zu erwarten. Dafür sind die Verhandlungen zwischen Vertretern der Kommission, der Länder und des EU-Parlaments zu verzwickt.

Auch die Schwerpunkte, die sich Wien selbst auferlegt, bergen genug Potenzial für Zwistigkeiten. "Ein Europa, das schützt" lautet das Motto der Ratspräsidentschaft. Was sich die Österreicher darunter vorstellen, ist aber gleichzeitig eine EU, die sich nicht für alles zuständig fühlt. Dahinter steckt das Schlagwort von der Subsidiarität, von dem Prinzip, dass eine übergeordnete Instanz nur das regeln sollte, was eine untergeordnete - etwa Regionen oder einzelne Staaten - nicht zu tun vermag.

Dass für den verstärkten Schutz der EU-Außengrenzen, der ein weiteres Anliegen Wiens ist, aber die EU zuständig sein sollte, löst bei den meisten Staaten Zustimmung aus. In der Migrationsdebatte, die Österreich ebenfalls begleiten wird, hat sich der Fokus in den vergangenen Jahren jedoch verschoben - und in den vergangenen Wochen erneut. Der deutsche Regierungsstreit um die Möglichkeiten der Zurückweisung von bereits anderswo registrierten Asylwerbern an der Grenze hat den Streit über Flüchtlingspolitik in der gesamten EU befeuert.

Gesunkene Begeisterung

Allein in den vergangenen zehn Tagen hat es dazu mehrere Treffen - inklusive Gipfelsitzung aller EU-Staats- und Regierungschefs - auf höchster Ebene gegeben. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz reiste nach Budapest zu einer Zusammenkunft mit seinen Amtskollegen aus den Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei. Wenige Tage später nahm er in Brüssel an einer Sitzung mehrerer Länder teil, die vor allem auf Wunsch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zustande gekommen war und an der die Visegrad-Vier demonstrativ ihr Desinteresse bekundet hatten.

Eine "Trendwende" in der Flüchtlingspolitik, wie es Kurz erfreut feststellte, leitete dann am Freitag der Gipfel ein. Das Signal ist klar: Die EU setzt auf Abschreckung; es Menschen zu erschweren, nach Europa zu gelangen, hat Priorität. Doch die Meinungen darüber, wie dies zu realisieren ist, gehen weiterhin auseinander.

Eine Annäherung der Positionen wird Österreich bald anstreben müssen. Es könnte dabei durchaus pragmatisch vorgehen. Von einer Begeisterung wie bei der Übernahme der früheren Ratspräsidentschaften 1998 und 2006 ist jedenfalls wenig zu spüren, meinen Spitzenbeamte mit entsprechendem Erfahrungsschatz. Das habe nicht unbedingt nur mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ zu tun, die aus ihrer EU-Skepsis keinen Hehl macht. Vielmehr sei die ÖVP nicht mehr die Europapartei von einst. Die Zeiten, als der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit Ex-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und Kollegen Fußball gespielt hatte, seien vorbei, seufzt ein Diplomat.

Fest zum Auftakt

Dennoch war auch zum Auftakt der aktuellen Präsidentschaft eine Zusammenkunft in lockerer Atmosphäre geplant. Die symbolische Übergabe des Vorsitzes war am Samstag bei einem Gipfeltreffen angesetzt - einem wörtlich zu nehmenden. Als Ort für die Zusammenkunft von Bulgariens Premier Bojko Borissow, Kanzler Kurz und anderer Spitzenpolitiker wurde nämlich die Planai in der Steiermark gewählt. Die Gelegenheit, "Servus Europa" zu sagen, wie die Veranstaltung genannt wurde, sollte aber auch der Bevölkerung gegeben sein - Picknick und Konzert wurden ebenfalls ins Programm aufgenommen.