Ein einzelner US-Angriff auf die syrische Armee macht noch keinen Unterschied, sagt der Nahost-Experte Patrick Cockburn. Ein Streit mit Moskau käme US-Präsident Donald Trump gerade ausgesprochen gelegen.
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"Wiener Zeitung": Als Vergeltungsschlag für den Giftgasangriff mit mehr als 70 Toten in Idlib haben die USA eine syrische Militärbasis angegriffen. Was ändert sich dadurch im Syrienkrieg?
Patrick Cockburn: Sieht man sich die militärischen Auswirkungen an, dann schmälert das die Macht der syrischen Luftwaffe keineswegs. Es handelt sich um eine Warnung: Wenn die syrische Regierung noch einmal Giftgas einsetzt, dann wird es weitere Luftschläge geben. Das Besondere an der Aktion ist also die Machtdemonstration, weniger die Auswirkung. Als Warnung ist das signifikant, denn Assad ist gerade dabei, den Krieg zu gewinnen. Die USA könnten das ändern, würden sie seine Luftwaffe ausschalten, wie es einige Generäle und Politiker empfohlen haben. Dass die USA nun erstmals eine Militärintervention gegen Assads Regierung gestartet haben, ist signifikant. Aber das bedeutet noch keine Veränderungen am Boden - außer, es wiederholt sich.
Was ändert sich mit dem Luftschlag in den Beziehungen zwischen Washington und Moskau?
Wahrscheinlich weniger, als man meinen würde. Die Situation in Syrien und im Irak ist festgefahren. Die Prioritäten liegen beim Kampf gegen den Islamischen Staat und Al-Kaida-Klone. Assad loszuwerden würde den USA zwar gefallen, aber das ist nichts, wofür sie sich ein Bein ausreißen. Das hat sich auch jetzt nicht verändert. Aus Trumps Perspektive kommt ein Streit mit Moskau gelegen, denn das wirkt den Vorwürfen, dass er Putin zu nahe steht, entgegen. Nun kann Trump sagen: Moment, ich habe gerade seine Verbündeten bekämpft. Zudem war der Angriff auf Assad notwendig, weil Trump seinen Vorgänger Barack Obama gerne als Schwächling dargestellt hat. Als Damaskus chemische Waffen einsetzte, musste er reagieren.
Trump hat noch Anfang der Woche gesagt, Assads Sturz habe nicht länger Priorität. Wenige Tage später greift er ein Flugfeld der syrischen Armee an. Wie ernst sollte man den US-Präsidenten nehmen?
Das war schon immer die Frage bei Trump, nicht nur in dieser Angelegenheit. Wir wissen es schlicht nicht. Bisher war Trumps Politik in Syrien und im Irak ähnlich wie jene Obamas.
Keine Bodentruppen.
Ja, aber Obama hat mehr getan, als er öffentlich gesagt hat. Seine Regierung hat nicht viel über die US-Truppen in der Region gesprochen - offiziell waren es 5000 im Irak, tatsächlich dürften es einige tausend mehr gewesen sein. Trump betont, wie tough er ist. Sein Zugang war immer widersprüchlich. Er präsentierte sich seinen Wählern als isolationistisch, war gegen den US-Einmarsch im Irak 2003 und gegen die Intervention in Libyen 2011. Gleichzeitig war es Teil seiner Wahlkampagne, Obama als schwach darzustellen und zu betonen, dass er stärker gegen ausländische Opponenten vorgehen würde. Bei jenen, die er in der Außenpolitik installiert hat, beim nationalen Sicherheitsberater, beim Verteidigungsminister, könnte man eine Militarisierung der Außenpolitik erwarten. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt.
Die Europäer sind alarmiert über einen möglichen Alleingang der USA in Syrien...
Die Gebiete, die die syrische Luftwaffe angreift, sind meist unter Kontrolle von Islamisten, hauptsächlich Al-Nusra und IS. Wird die syrische Luftwaffe nun angegriffen, ist das ein großes Plus für diese Islamisten. Deshalb hat Trump bisher auch keine Priorität auf den Sturz Assads gelegt.
Obama hatte Assad militärische Konsequenzen im Falle des Einsatzes von chemischen Waffen angedroht, das dann aber 2013 nicht wahrgemacht. Seine rote Linie war also ein leeres Versprechen.
Nicht unbedingt, denn Assad musste danach seine Chemiewaffen vernichten. Obama hatte nie damit gedroht, in Syrien einzumarschieren oder Assad zu stürzen. Er hat sein Ziel auf anderem Weg erreicht. Seine Gegner haben ihm vorgeworfen, dass er kapituliert hat - das ist Polit-Rhetorik.
War Obamas Strategie also richtig?
Sein Vorgehen war recht vernünftig, er hat die Realität miteinberechnet. Unrealistischer waren die Briten und Franzosen, die immer auf einen Sturz Assads beharrt haben. Dabei war früh klar, dass er von Russland und dem Iran unterstützt wird. 2012 dachten sie, dass es mit Syrien so laufen würde wie mit Libyen, dass Assad bald gestürzt werden würde wie Gaddafi. Dabei hatte Assad viel mehr Unterstützung, er hatte mächtige Alliierte, anders als Gaddafi. Doch sie waren besessen von der Idee. Ein großer Teil des Krieges in Syrien hängt von der Rolle ausländischer Mächte ab. Die USA und Europa haben unterschätzt, dass die Schiiten in der Region - Iran, Irak, Syrien und Libanon - das als existenziellen Kampf angesehen haben, weil sie sich in die Ecke gedrängt fühlten. Sie konnten nicht zulassen, dass Assad gestürzt wird.
Kann Syrien je wieder ein zusammenhängender Staat sein oder muss man das Land entlang ethnisch-religiöser Linien aufteilen, wie viele Experten vorschlagen?
Ich glaube nicht, dass es eine sektiererische Aufteilung Syriens geben wird, aber es kommt darauf an, was die involvierten Mächte wollen. Gewinnt Assad, wird er das ganze Land zurückwollen. Die Frage ist, was nun mit den Kurden geschieht. Sie haben bis zu einem gewissen Grad von diesem Krieg profitiert. In Syrien waren die rund zwei Millionen Kurden eine marginalisierte Minderheit, Bürger zweiter Klasse. Heute kontrollieren sie ein großes Gebiet, sie haben eine effiziente Armee und mächtige Verbündete - allen voran die USA. Ähnlich ist es im Irak. Dort haben die Kurden den Ansturm auf Mossul genutzt, um Gebiete rundherum zu erobern. In beiden Ländern machen sie sich Sorgen: Noch werden sie geliebt, weil sie den IS bekämpfen. Aber was, wenn er besiegt ist? Die USA werden dann wieder Bagdad und Ankara unterstützen und die Kurden verletzlich zurücklassen.
In Ihrem Buch "The Age of Jihad" kritisieren sie den US-Einmarsch im Irak aufs Schärfste. Saddam Hussein sei einer der brutalsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts gewesen, doch die USA hätten alles falsch gemacht - und den Boden für den Islamischen Staat bereitet.
Den Sturz Saddams hätten sich die Amerikaner vielleicht noch erlauben können, denn die meisten Iraker hassten ihn und wollten ihn ohnehin loswerden. Aber sobald die USA den Irak besetzt hatten, wollte sie niemand mehr - einmal abgesehen von den Kurden. Hinzu kommt, dass alle Nachbarstaaten dagegen waren. Iran, Syrien - sie alle unterstützten verschiedene Gegner der USA. Sie wollten schlicht keine große US-Armee vor ihrer Haustüre.
Der heutige Islamische Staat setzt sich zusammen aus Al-Kaida, ehemaligen Kämpfern Saddams und frustrierten, von US-Truppen gedemütigten Sunniten. War das Potenzial immer schon da?
Ja, aber es ist schon bemerkenswert, wie es sich entwickelt hat: Zu einem monströsen religiösen Kult, der alle töten will, die nicht mit ihm übereinstimmen. Diese Gruppe verfügte bald über relativ gute Militärexpertise - einerseits durch ehemalige Offiziere Saddams, andererseits durch Erfahrung. Tobt ein Krieg lange genug, dann werden jene, die ihn überleben, gut in ihrem Job. Die IS-Männer, die 2014 Mossul eroberten, kämpften ja bereits seit 2003.
Angenommen, der IS wird bald
besiegt - was soll dann aus den Kämpfern werden? Die Islamisten sind wie eine Blase: Drückt man sie an einer Stelle hinunter, poppen sie woanders wieder hoch...
Das stimmt zu einem gewissen Grad, aber eine Niederlage bleibt eine Niederlage. Der IS hat Städte verloren und schwere Verluste eingesteckt. Um sich noch einmal zu erheben, bräuchte er sichere Verstecke, gut ausgebildete Leute, Geld. Bei einer Niederlage gäbe es all das nicht mehr, er könnte auch keine Steuern mehr einheben. Aber ja: Selbst, wenn seine Zahl nach einer Niederlage verringert ist, kann der IS immer noch einen Guerillakrieg führen. Auf Verluste auf dem Schlachtfeld reagiert er mit extremen Massakern an Zivilisten, um zu zeigen, dass man ihn noch fürchten muss.
Wie können erneute Versuche, ein sogenanntes Kalifat zu errichten, verhindert werden?
Sie haben nicht mehr den Überraschungsvorteil. Ein Teil der Sunniten etwa in Mossul hat den IS anfangs unterstützt. Doch dann fing er an, Menschen zu exekutieren. Die Leute werden den IS nicht wieder willkommen heißen. Was 2014 in Mossul geschehen ist, wird sich nicht wiederholen.
Sie waren eben in Mossul, die Militärinitiative zur Zerschlagung des IS ist in vollem Gang. Was waren Ihre Eindrücke?
In der Altstadt sind rund 400.000 Menschen eingeschlossen, die irakische Armee tut sich schwer, weiter vorzudringen. In dem Viertel liegen die Häuser dicht aneinander, die Gassen sind so eng, dass man nicht zu zweit nebeneinander gehen kann. Diese mittelalterliche Stadt ist ideal für einen urbanen Guerilla-Krieg. Es ist schwer, die Kämpfer zu erwischen, jede Bombe tötet auch Zivilisten. Der IS sprengt Locher in die Außenwände von Häusern, so gelangen die Kämpfer von Haus zu Haus, ohne aus der Luft gesehen zu werden. Sie bleiben ständig in Bewegung. Einer ihrer Scharfschützen kann 150 Soldaten davon aufhalten, vorzurücken - und so Gebiete halten.
Wann wird Mossul befreit werden?
Die Rede ist von Juni, aber selbst, wenn nur tausend IS-Männer dort bleiben, um bis zum Tod zu kämpfen, kann sich das noch viel länger hinziehen. Man könnte die ganze Stadt niederreißen, um die Sache zu beenden, aber das will ich nicht hoffen.
Patrick Cockburn, geboren 1950 in Irland, ist Nahost-Korrespondent für den britischen "Independent". Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine journalistische Arbeit, darunter den "Martha-Gellhorn-Preis" und die Auszeichnung "Auslandskorrespondent des Jahres 2014". Sein neues Buch "Chaos und Glaubenskrieg" (264 Seiten, 19,90 Euro) erscheint Anfang Mai im Promedia Verlag.