Dass sie die "einfachen Impulse", die sie dazu bewegten ihr eigenes Kindertheater zu gründen, zu einem 25-jährigen Jubiläum mit dem "Heuschreck" führen würden, hätten sich Anna und Wilo wohl selbst nie gedacht. Dem Feind "Routine" bieten sie dabei noch immer entschieden die Stirn.
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Es war im Jahr 1985, als die heute 51-jährige Anna Hnilicka und der 56-jährige Wilo Kamenicky beschlossen, das Kindertheater "Heuschreck" zu gründen. Damals gab es in Wien nur das "Moki Kindertheater". "Das war ein reines Sprechtheater, nicht bunt, und nur leicht pädagogisch. Da ging es höchstens ums Zähneputzen", erzählt Anna. Sie arbeitete bereits 1985 als Schauspielerin, nebenbei studierte sie Regie. Ihr Lebensgefährte Wilo war in einer Werbeagentur und als freier Fotograf tätig. "Was sich damals im Bereich Kindertheater getan hat, haben wir einfach als nicht zeitgemäß empfunden". Und so haben die beiden beschlossen, ihr eigenes Kindertheater zu gründen. "Wir hatten damals wohl auch gerade den Bezug zu kleinen Kindern", meint Wilo heute. Denn der gemeinsame Sohn Cosimo, der sich mittlerweile als Grafiker und visueller Gestalter im Theater engagiert, kam 1981 auf die Welt.
Es seien dann "einfach Impulse gewesen", die die beiden dazu bewogen, die ersten Schritte zum eigenen Kindertheater zu setzen. Und die Dinge haben sich gut gefügt: Eine günstige Gelegenheit, einen Bus zu erstehen, ergab sich, ein Freund bot einen Proberaum an.
Kurze Zeit darauf studierten sie bereits das Stück "Der selbstsüchtige Riese" nach Oscar Wilde ein, dessen Premiere in der Arena stattfand. "Die Verhältnisse waren dort aber sehr archaisch. Wir mussten den Schnee aus der Halle schaufeln und die Ölfässer reinschleppen. Das war schon sehr dramatisch", erzählt Wilo lachend. Da diese Umgebung für Kinder wenig passend gewesen sei - "zu abenteuerlich" -, begannen sie sich bald nach anderen Räumlichkeiten umzusehen. Zu der Zeit wurde das WUK gerade besetzt und war dabei sich zu etablieren. In dessen oberen Räumlichkeiten fand sich ein kleiner Saal.
In den Anfangsjahren führten sie Stücke wie "Ein Kater ist kein Sofakissen" nach Christine Nöstlinger, "Das kleine ich bin ich" nach Mira Lobe, "Max und Moritz" nach Wilhelm Busch und "Ronja Räubertochter" nach Astrid Lindgren auf. "In den 90er Jahren haben wir dann im Technischen Museum Räume angemietet und mit anderen Gruppen Kindertheater-Festivals organisiert. Damals gab es in Wien ja noch keine Szene in diesem Bereich", erzählt Wilo. Parallel dazu tourten sie durch Europa: Warschau, London, Istanbul und Paris waren nur einige ihrer Stationen. Nein, die Sprache sei kein Problem gewesen, denn die Stücke seien ja schon immer sehr visuell gewesen. Da rücke die Sprache in den Hintergrund, sagt Anna. Zudem würden ja Kinder auf der ganzen Welt Deutsch lernen. Die Kontakte zu ihnen knüpften sie über die österreichischen Kulturverbände.
Mitte der 90er Jahre kam schließlich die Zeit, in der den beiden alles "etwas zu viel wurde". Gefühle der Überforderung stellten sich ein - zu den Aufführungen und Proben an immer anderen Orten, fiel immer mehr Organisationsarbeit an, dazu kam die Konzeption der Zeitschriften und Programme. "Da gelangten wir an einen Punkt, an dem wir uns fragten: Ist das jetzt wirklich mein Weg?".
Es folgte eine Zeit des Umbruchs, der Reflexion. "Wie kann ich die Welt verändern" war ihre Fragestellung der ersten zehn Kindertheater-Jahre, erzählt Anna. Dann aber hätten sie erkannt, dass eine Veränderung nicht im Außen, sondern in ihrem Inneren stattfinden müsse.
Um ihre ganz persönlichen Botschaften an die Kinder zu richten, begann Anna schließlich eigene Stücke zu schreiben. Und schließlich gehe es ja jetzt auch um eine ganz andere Generation von Kindern. "Die Aufnahmefähigkeit der Kinder hat sich über die letzten Jahre extrem gesteigert - wohl durch die zunehmende Konfrontation mit den vielen Medien." Auch die Sprache unterliege einem ständigen Wandel, gehe mehr in Richtung Comic. Aus diesem Grund sind Anna und Wilo ständig damit beschäftigt, ihre Stücke weiterzuentwickeln - sie auszufeilen. "Es ist wie wenn man eine Suppe kocht, wir fragen uns immer: Was sollen wir hinein geben, damit sie gut wird." So kamen über die Jahre neue Elemente wie Licht und Rhythmus hinzu. Und die Kinder sind begeistert: Mit offenen Mündern bestaunen sie das Treiben der Schauspieler, die in ihren bunten Kostümen tanzen, singen, schreien und lachen. Enthusiastisch warnen sie die Protagonisten vor "Gefahren" und helfen ihnen, "schwierige Aufgaben" zu lösen.
Dass es "dem Kind in ihr gefällt" ist für Anna die Essenz all ihrer Stücke. Denn Anna und Wilo wollen die Menschen berühren. Beglückt sollen sie das Theater verlassen - durch ein Eintauchen in eine andere Welt den Alltagsstress vergessen. So wie Anna ihn vergaß, als ihr der passende Name für das Theater einfiel: Der Name "Heuschreck" war eine Sommeridee, der ihr in einer Wiese mit vielen Heuschrecken liegend einfiel.
Manchmal werden aber auch Anna und Wilo vom Alltagsstress eingeholt. Zum Beispiel, wenn sich die die finanzielle Situation des Theaters gerade wieder als etwas schwierig gestaltet. "Wenn die Kinder nicht alle drei Jahre herauswachsen würden, hätten wir jetzt schon ein Millionen-Publikum", sagt Anna lachend. So ist es aber leider nicht, was das fortwährende Bestehen des Theaters erschwere. Immer müssten sie "dran" bleiben, versuchen die nachkommenden Kinder zu erreichen und zu begeistern.
Denn auch der zu erlangende Kartenpreis sei gering. Nur 7 bis 10 Euro pro Stück könne für eine Karte verlangt werden. "Im Vergleich zu einem Theater für Erwachsene ist das sehr wenig", meint Wilo, der schon immer mehr für den kaufmännischen Teil des Theaters zuständig war. Auch die Rahmenbedingungen seien mit der Zeit härter geworden: "Früher hatten die Gemeinden ein Kulturbudget, aus dem sie unsere Vorstellungen für ihre Kinder bezahlt haben." Das gehöre aber jetzt der Vergangenheit an. Heute müssten sie sich die Säle von den Gemeinden mieten und von den Kindern Eintritt verlangen.
"Es ist ja wirklich ein kleines Wunder, dass es uns immer noch gibt. Logisch ist das nicht erklärbar. Denn wir hatten sehr steinige Abschnitte, in denen wir keine Subventionen bekamen. Irgendwann standen wir mit einer Million - damals Gott sei Dank noch in Schilling - Schulden da." Canossa-Gänge zu Banken und anderen Sponsoren blieben da nicht aus. "Aber wir sind wie das Wasser, wenn ein Weg nicht geht, nehmen wir einfach einen anderen", sagt Anna.
Sie haben es geschafft, sich der Schulden zu entledigen. Der Umgang mit dem Geld wurde bewusster - vorbei waren die Zeiten des "vollen Risikos". Vor allem aber hätte ihnen ihr Glaube an das Überleben des Theaters geholfen, meinen beide. Mittlerweile würden alle an dem Theater verdienen, zwar bescheiden, aber sie kämen über die Runden.
"Alle" sind neben den beiden die zwei Schauspieler, die gemeinsam mit Anna in all die unterschiedlichen Charaktere schlüpfen, etwa in die des Drachenjungens "Lordilu", des Mädchens "Felicitas Feuerblitz" oder der Raupe "Wanda". Vier "Mädls" sind "Büro" - geringfügig beschäftigt - und für die Organisation zuständig. Sie planen und koordinieren die Auftritte der Theatergruppe in Kindergärten und Schulen in den Bundesländern. Auch jeden Sonntag, wenn im Wiener "Porgy und Bess" die Aufführungen stattfinden, sind sie im Einsatz. Sie verkaufen die Eintrittskarten und betreuen die "Kinder-Bastelstunde" vor dem Stück. Und dann gibt es noch die zwei Kostümbildnerinnen, die aus Altem und Neuem den Schauspielern ihre ausgelassenen Outfits auf den Leib schneidern.
Dass ihr Kindertheater einmal ein 25-jähriges Jubiläum feiern würde, hätten sich Anna und Wilo 1985 nicht vorstellen können. "Aber das ist ja auch nichts, was man so lange im Voraus planen kann", sagt Wilo. "Oder wir haben es jedenfalls nicht getan", fügt er lachend hinzu. Zu beschließen "Ich mache jetzt 25 Jahre lang Kindertheater", wäre seinem Empfinden nach ja auch ein sehr unfreier Gedanke gewesen. Ohne festen Vorsatz, nur durch ein ständiges Weiterentwickeln und Dranbleiben, sind es jetzt also 25 Jahre geworden.
Wünsche für die Zukunft haben die beiden noch viele. Zum Beispiel, dass das neue Stück "Lenny, der fliegende Hund", das vor wenigen Tagen Premiere hatte, beim Publikum gut ankommt und "den Weg in die Herzen der Zuschauer findet". Erzählt wird die turbulente Geschichte einer Begegnung zwischen einem Waisenkind und einem Hund, der eines Ferientags vom Himmel fällt - und das Abenteuer einer großen Tierfreundschaft beginnen lässt. Und schön fänden die beiden auch, wenn sie weiter lernen würden, "ihr Theater" noch liebevoller zu gestalten und dem Feind Routine entschieden die Stirn zu bieten, meint Anna. "Eine permanente Wunscherfüllung - das ist unser Weg."
www.heuschreck.at