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Eine Spritze Nervengift, bitte!

Von Thomas Müller

Wissen

Es wirkt wie eine ganz normale Party. Die Gäste plaudern, trinken Cocktails und naschen am Buffet. Ungewöhnlich daran ist nur, dass ein Gast nach dem anderen im Hinterzimmer verschwindet und dort auf einem Behandlungsstuhl Platz nimmt. Dort spritzt ein Arzt dem Gast das neuste Wundermittel der amerikanischen Schönheitsindustrie in die Wangen und in die Stirn: Botox - ein verdünntes Nervengift, das die Falten verschwinden lässt.


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Minuten später und ein paar hundert Dollar ärmer mischt sich die Patientin wieder unter die anderen Gäste und lässt sich begutachten. Noch sind auf der Stirn nur ein paar rote Punkte an den Einstichstellen zu sehen, doch in ein, zwei Tagen beginnt sich die Stirn zu glätten, die Krähenfüße um die Augen verschwinden. "Ich bin 38 Jahre alt, warum soll ich wie eine 80-Jährige aussehen", meint die Notärztin Carol Gilmore, die sich seit längerem regelmäßig spritzen lässt.

Viele schätzen vor allem, dass die Behandlung so schnell geht. "Ich kann mich spritzen lassen, während meine Kinder in der Schule sind", erklärt etwa Linda Leibovitch im Fernsehsender ABC. Wie viele andere lässt sie sich auch nicht von dem offensichtlichen Nachteil der Behandlung abschrecken: Die Mitglieder der Botox-Gemeinde zeichnen sich alle durch einen etwas starren Gesichtsausdruck aus, da Botox wirkt, indem es die injizierten Muskeln lähmt und damit etwa Stirnrunzeln verhindert.

Obwohl Botox in den USA für die Faltenbekämpfung bisher noch nicht offiziell zugelassen ist, ist der Ansturm auf das Mittel gewaltig. Im vergangenen Jahr ließen sich nach Angaben des amerikanischen Verbands für Schönheitschirurgie 1,6 Millionen Patienten auf diese Weise glätten. Damit sei die Faltenschutzspritze die populärste Schönheitsbehandlung des Jahres gewesen, teilte der Verband mit.

Der bisherige Erfolg beruht allein auf Mundpropaganda und den sichtbaren Ergebnissen, da der Hersteller Allergan bisher für das Mittel noch nicht gezielt werben darf. Botox ist zwar in den USA seit Jahren zugelassen, aber nur als Medikament gegen bestimmte Formen von Augenmuskelzuckungen. Der lukrative Nebeneffekt wurde erst später entdeckt und anfangs vor allem von alternden Hollywoodstars genutzt.

Doch in den vergangenen fünf Jahren verzwanzigfachte sich der Konsum. Inzwischen erwartet der Hersteller praktisch täglich die offizielle Zulassung durch die Gesundheitsbehörde FDA, und dann rechnen Experten mit einem wahren Ansturm auf Botox. Nach Medienberichten will die Firma dann über 100 Mill. Dollar (113 Mill. Euro) in die Werbung stecken und damit den Schönheitsmarkt aufrollen.

Bisher kostet eine Behandlung in den USA je nach Umfang und Arzt zwischen 300 und 800 Dollar. Nach drei bis vier Monaten verfliegt die Wirkung und eine neue Spritze ist nötig. Um das Medikament populärer zu machen, sind inzwischen viele Ärzte auf die Idee gekommen, Botox- Partys zu veranstalten.

Der Vorteil für die Patienten: Sie müssen die Wartezeit nicht in einem sterilen Wartezimmer verbringen, sie können Freunde und Verwandte zur moralischen Unterstützung mitbringen und lernen Gleichgesinnte kennen. Für die Ärzte und Krankenschwestern, die die Partys organisieren, lohnt sich die Investition in ein Buffet und Cocktails allemal. Eine Ampulle Botox kostet 180 Dollar und reicht für bis zu sechs Patienten, die jeweils mindestens 300 Dollar zahlen.

Aber auch viele andere steigen in das Geschäft ein. So bietet ein Friseursalon in einem Einkaufszentrum bei Washington neben Dauerwelle und Tönung auch die Botoxkur an.