Das Berliner Strandbad Wannsee wird diese Woche 100 Jahre alt. War es ursprünglich nicht mehr als ein Freibadeplatz, ist es heute eines der größten Volksbäder Europas. | Die "Revolution in Badehosen" (so Wannsee-Experte Matthias Oloew) begann unspektakulär: Am Mittwoch, dem 8. Mai 1907, kamen Arbeiter der Teltower Forstverwaltung zum Ostrand des Wannsees und tauschten einige Schilder "Baden verboten" gegen "Öffentliche Badestelle" aus.
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Eine Revolution auf nur 200 Metern Seeufer - getrennt nach Männlein und Weiblein; unter dem scharfen Auge eines Gendarmen, denn die Genehmigung des Königlichen Regierungspräsidiums konnte jederzeit widerrufen werden.
Und vor allem unter den gierigen Augen gutbürgerlicher Voyeure, die, als neutrale Spaziergänger getarnt, zu erspähen hofften, was ihre sittliche Entrüstung gerechtfertigt hätte. Polizeiverordnungen schrieben vor, wie die Badebekleidung auszusehen hatte: Bei den Damen hatten Brust und Bauch bedeckt zu sein und die Beine bis übers Knie; bei den Herren waren Dreiecksbadehosen verpönt; der "Zwickelerlass" schrieb Einlagen vor, damit die primären Geschlechtsmerkmale nicht allzu deutlich hervortraten.
Trotzdem: Das freie Baden am Wannsee wurde zur Volksbewegung. Zählte man 1912 eine halbe Million Badende, kamen 1927 schon 900.000 und im Rekordjahr 1930 fast anderthalb Millionen. Bald gründeten sich Vereine, die für Ordnung sorgten und dafür ihre kleinen Badehütten und Lauben aufstellen durften. Wie zum Beispiel die "Wannseeaten", der "Arbeiter-Schwimmverband" oder der "Club fideler Sonnenbrüder", eine Gruppe von Arbeitern aus den Mietskasernen Berlins, unter ihnen Hermann Clajus, ein SPD-Funktionär, der später erster offizieller Strandbaddirektor wurde, als das Bad in Berliner Regie überging.
Getreu dem preußischen Motto "nicht kleckern, sondern klotzen" entstand in den Folgejahren eines der größten Binnenseebäder Europas. Im Stil der Neuen Sachlichkeit wurde ein 540 Meter langer Gebäudekomplex - mit Sonnenterrassen, Strandrestaurant, Wandelgängen und Umkleidekabinen - nach Entwürfen des Architekten Richard Ermisch errichtet. Geldnot verhinderte den Ausbau auf die doppelte Länge.
Davor dehnt sich ein 1,3 Kilometer langer und 50 Meter breiter künstlicher Sandstrand aus. Das Bad hat eine Gesamtfläche von fast 90 Fußballfeldern und eine Tageskapazität für bis zu 50.000 Badegäste - davon etwa zehn Prozent im FKK-Bereich. Neben dem "breiten Puderzuckerstrand" - echter Ostsee-Sand aus dem schleswig-holsteinischen Timmendorf -, gibt es einsame Buchten, einen Bereich für Segler und Surfer, Stege mit Sprungbrettern, Wasserrutschen, Paddel-, Segel- und Tretboote, eine Luftmatratzen-Aufpumpstation, Trimm-Dich-Geräte, Beachvolleyball und einen Naturlehrpfad.
Was für Betuchte die "Sommerfrische" im mondänen Ostseebad, war für die anderen der Wannsee, "Badewanne der Berliner", "Lido für Arme", Naherholungsgebiet für Kind und Kegel.
Mit den Nazis verlor das Bad sein Flair. Sie schlugen sich mit Kommunisten und Sozis, die Parteiabzeichen auf der Badehose. Clajus brachte sich aus Angst vor ihnen um. Juden durften nicht rein. NS-Turnwarte, von der SS unterstützt, pfiffen mit Trillerpfeifen eine "Kolonne jugendlicher Körper" zum zackigen Sport, wie der "Völkische Beobachter" vermerkte.
Im eingemauerten Berlin der Fünfziger kam das Bad wieder zu Ehren. Mit dem Song der kleinen Conny "Pack die Badehose ein" errang es sogar Weltruhm. Die Timmendorfer vergruben "Seepferdchen" im Sand; wer eines fand, konnte einen Ostsee-Urlaub gewinnen.
Zur Hundertjahr-Feier ist das in den letzten Jahrzehnten verfallene Bad großteils denkmalgetreu saniert worden. Ein Genuss nicht nur für Seeleute, sondern auch für Seh-Leute.