Robert Misik hat - rechtzeitig vor der Nationalratswahl am 15. Oktober - ein Porträt des Bundeskanzlers geschrieben.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Der "Kurier" bezeichnete Robert Misik im Vorjahr als "linken Einflüsterer des Bundeskanzlers". Nun hat der Autor, Blogger und Journalist ein Buch über Christian Kern geschrieben, angereichert mit eigenen Überlegungen zur Sozialdemokratie. Als Flüstern können die 191 Seiten nicht benannt werden, dazu ist das Buch viel zu lautstark.
Die Beendigung der Regierungskoalition und die Veränderungen in der ÖVP durch Sebastian Kurz kamen dazwischen und fanden naturgemäß keinen Eingang mehr in das Buch. Aber es ist nach Eigendefinition ohnehin ein "politisches Porträt", und diesen Anspruch erfüllt es allemal. Es ist wohl anzunehmen, dass die politischen Gegner Kerns angesichts des heraufdräuenden Wahlkampfs das Buch mindestens so intensiv lesen wie dessen Befürworter - wenn nicht noch aufmerksamer. Dabei sollten es vor allem die Funktionäre der SPÖ lesen, denn das Porträt offenbart auch, dass ihr Vorsitzender der Partei meilenweit voraus ist.
"Natürlich will ich eine Wahl gewinnen, denn ich will ja weiterregieren. Aber letztlich geht es vielmehr darum, etwas Nachhaltiges zu bewirken und eine Spur zu hinterlassen", diktiert der Kanzler dem Buchautor. Das passt zu seinem Satz, wonach er der Politik zehn Jahre seines Lebens widmen will - selbst wenn die SPÖ nach der Oktober-Wahl von Schwarz-Blau in die Opposition geschickt wird. Kern hat mehr als einen Wahltermin auf seiner Agenda, und sein Plan A ist dabei mehr als eine Gestaltungsanleitung.
"Mut ist lässig", sagt Kern im Buch. Ob der Apparat der SPÖ diese Lässigkeit auch aufbringt, wird sich angesichts der vorgezogenen Neuwahlen früher herausstellen, als er wollte. (Das gilt wohl auch für die ÖVP, aber von der handelt das Buch ja nicht.) Vor allem wird sich weisen, ob die Sozialdemokratie seine Marktorientierung aufbringen wird können. Kern freut sich, dass Österreich eine dreiprozentige Forschungsquote erreicht hat, aber beklagt, dass der Output dieser Investitionen kaum zu überblicken ist. Der langjährige Verbund-Manager und ÖBB-Chef will - durchaus glaubhaft - das öffentliche Geld sinnvoller ausgeben, als es derzeit der Fall ist. Kern bezeichnet Glaubwürdigkeit als das höchste Gut der Politik.
Misiks Porträt beschreibt einen 50-Jährigen, der sich darum bemüht. Auch in seinen Interviews besteht Kern auf längeren Antworten, weil er um die Komplexität der Welt weiß. Und darauf besteht. Als Stärke und als Schwäche bezeichnet das Buch Kerns Image als Einzelplayer. "Er baut Vertrauen auf, aber genau deshalb, um ungestört entscheiden zu können", sagen "Vertraute" im Buch über den Kanzler.
Das Buch geht auf sein Wirken in die Partei hinein wenig ein, es wäre interessant gewesen zu lesen, wo er wie auf den Tisch haut. Wie man es als Manager halt macht, betrifft dies auch seine Personalentscheidungen. Seine Büroleiterin bei den ÖBB, Maria Maltschnig, machte er zuerst zur Kabinettschefin im Bundeskanzleramt, um sie dann als Chefin der Parteiakademie, des Renner-Instituts, zu installieren. "Er ist ein irrsinnig kontrollierter Mensch, konsequent und diszipliniert", beschreibt sie ihn im Buch.
Misik begegnet Kern mit unverhohlener Sympathie, anderes war auch nicht zu erwarten. Das Porträt beschreibt die politische Sozialisation des SPÖ-Vorsitzenden, Privates dagegen nur in der Kern eigenen Distanziertheit. Die Frage "Wie holt man die Wütenden und zu Recht Frustrierten von der FPÖ zurück?", wird sehr differenziert beantwortet. Bis 15. Oktober wird es wohl eine griffigere Antwort geben müssen.