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Eine Stadt will sich wieder aufrichten

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Drei Tage nach dem Selbstmordanschlag bei einem Popkonzert ringt Manchester um neue Kraft.


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Manchester. Auch nach drei Tagen will der Strom der Trauernden nicht abreißen, hier am St. Ann’s Square, im historischen Herzen Manchesters. Sträuße in knisterndem Zellophanpapier, rosarote Ballons, Teelichter und von Kindern gemalte Karten haben sich angestaut am Denkmal des radikalliberalen Reformers Richard Cobden, der sprachlos auf das Gedränge zu seinen Füßen hinuntersieht.

Tausende haben sich versammelt zu einer Gedenkminute am Donnerstagvormittag, und nicht wenige Tränen fließen. In St. Ann’s, der Kirche gleich hinter dem Cobden-Denkmal, am oberen Ende des Platzes, sind kleine Tische aufgestellt und Kondolenzbücher ausgelegt worden. "Mir fehlen die Worte", haben Besucher von weither geschrieben. Oder: "Die kleinen Engel - mir blutet das Herz."

Die Einträge gelten den 22 überwiegend jungen Opfern des Terroranschlags vom Montagabend, mit dem der ebenfalls aus Manchester stammende Selbstmordattentäter Salman Abedi einem von fast 20.000 Menschen besuchten Popkonzert in der nahen Manchester Arena ein grausames Ende setzte. Mehr als hundert Personen, darunter ein Dutzend Kinder, wurden bei der Explosion im Foyer der Arena teils schwer verletzt. Einige schweben noch immer in Lebensgefahr.

Gewiss: Bombenanschläge hat Manchester schon früher erlebt. Immer wieder in den 1970er und 1980ern wählte die Irisch-Republikanische Armee (IRA) die Stadt zum Ziel. Vor 21 Jahren, im Juni 1996, legten IRA-Leute mit einer 1,5-Tonnen-Sprengladung sogar ganze Straßenzüge im Zentrum in Trümmer. Die Bombe ging in die Geschichte Manchesters ein. "All diese Kirchenfenster an der Nordseite", sagt St. Ann’s Küsterin Susan Ball, "sind damals zu Bruch gegangen." Und doch, meint sie, habe jener Anschlag nichts mit dem von dieser Woche gemeinsam. Die IRA habe seinerzeit immerhin Vorwarnung gegeben, damit niemand ums Leben komme. Salman Abedi aber habe so viele Menschen wie möglich und erstmals gezielt auch Kinder mit sich in den Tod reißen wollen.

Empört über Informationslecks

Draußen, im Bezirk zwischen der Kirche und dem Rathaus, sitzen zur Mittagspause überall verloren Menschen auf Bänken in der Sommersonne. Schwerbewaffnete Polizeipatrouillen durchstreifen die Straßen. Auch berittene Einheiten klappern vorbei. Anderswo ist das Alltagsleben zögernd wieder in Gang gekommen.

Im Bereich der Manchester Arena, wo vorerst alles weitläufig abgesperrt bleibt, steht die Welt allerdings noch still: Zum weiten Umkreis der zur Todesfalle gewordenen Konzerthalle hat nur die Polizei Zugang. Die in diesem Sperrbereich liegenden Gaststätten und Geschäfte haben, ebenso wie der Bahnhof Victoria Station, den Betrieb einstellen müssen.

Wenn die britische Öffentlichkeit wissen möchte, was sich am Tatort abspielt oder abgespielt hat, muss sie die Zeitung "New York Times" lesen. Zum Zorn der britischen Regierung haben die US-Geheimdienste ohne Absprache mit London erst den Namen des Täters und dann Bilder von den Überresten der Bombe publiziert. Premierministerin Theresa May hat versprochen, sich bei US-Präsident Donald Trump darüber zu beschweren. Der hat mittlerweile angekündigt, dass die Behörden den Informationslecks auf den Grund gehen sollen.

Sorgsam abgesperrt ist auch eine einzelne Straße etwa drei Kilometer südlich vom Tatort. Hier in Elsmore Road, im Stadtteil Fallowfield, hat Salman Abedi, der 22-jährige Bomber, gewohnt. Ein einfaches, dunkelrotes, zweistöckiges Backsteinhaus ist es, bei dem die Fenster offen stehen. Polizisten in Schutzkleidung gehen ein und aus. Drinnen haben sie, ist zu hören, eine Bombenwerkstatt entdeckt und abgeräumt.

"Bedeutende" Funde

Das Viertel ist ein einfaches Arbeiterviertel, in dem man zwischen ärmlichen Quartieren ab und zu auf einen dicken Mercedes in der Einfahrt stößt. Kleine Gipsfiguren und Vasen stehen auf den Fenstersimsen der Häuser. In den Vorgärten ist das Gras getrimmt. Antone Jones, der gleich ums Eck von den Abedis wohnt, hat sich bereit gefunden, etwas über den Nachbarn zu erzählen. Ein "stiller, zurückhaltender" Zeitgenosse sei Salman Abedi gewesen, der beim Fußballspielen in der Straße "nie mitmachen" wollte. Vor zwei Jahren sei aber plötzlich auf dem Dach über dem Haus "eine große schwarze Flagge mit arabischer Aufschrift" entfaltet worden.

Inzwischen sind weitere sieben Personen, die meisten ebenfalls aus Manchester, festgenommen worden. Die Funde bei der Fahndung nach einem Netz britisch-libyscher Extremisten werden von der Polizei als "bedeutend" und besorgniserregend eingestuft.

Noch einmal eine halbe Stunde weit entfernt, muss sich auch die Moschee von Didsbury des Verdachts erwehren, sie habe Warnzeichen missachtet. Ironischerweise ist diese Moschee, die die Abedis frequentierten, eine der offensten in Manchester überhaupt. Eingerichtet als "Manchesters Islamisches Zentrum" in einer alten christlichen Kirche, lädt sie jeden Sonntagnachmittag auch Anhänger anderer Religionen oder Nichtgläubige "zum Austausch und zu Erfrischungen" ein - "jenseits von Politik und Propaganda", wie ein Plakat verrät.

Bedürfnis, Einheit zu zeigen

Nun aber muss die Moschee in diesem alten Villenviertel Manchesters mit Anwürfen nicht nur verbaler Art rechnen. Schon gebe es von anderswo Berichte über "Hassaktionen gegen Moslems", klagt Verwalter Fawzi Haffar. Er wolle eines klarstellen, meint er: Es sei "nicht wahr", dass Salman Abedi in der Moschee gearbeitet habe, wie von einem Teil der britischen Presse berichtet. Unbeantwortet bleibt die Frage, ob Abedis Vater dort beschäftigt war.

Doch wie andere Einwohner hat Fawzi Haffar das Bedürfnis, Einheit zu demonstrieren. Sein Renommee als zunehmend wichtiges Zentrum Nordenglands, als zweitwichtigste Stadt nach London, will Manchester um keinen Preis verlieren. "I love MCR" steht auf tausend Fähnchen in der Stadt. Zwar wurden einige Konzerte abgesagt, ist der Kulturbetrieb vor Ort und der Wahlkampf auf der gesamten Insel für ein paar Tage zum Halten gekommen. Aber schon bald sollen die großen Sport- und Kulturereignisse in Manchester wieder anlaufen. Der mit 35.000 Teilnehmern größte Zehn-Kilometer-Lauf Europas soll am Sonntag jedenfalls stattfinden.

"Manchester ist nicht geschlagen", meint der frisch gewählte Bürgermeister des Großraums Manchester, Andy Burnham. "Dieses Verbrechen hat ein Extremist, ein Terrorist begangen", betont er. "Der steht nicht für Manchester. Kein Extremist wird jemals dafür stehen."