Eine funktionierende Demokratie braucht ausgewogene Kräfteverhältnisse.
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Österreich brauche eine Regierung, die regiert, merkte Sebastian Kurz vor der Wahl an. Wie, das klingt eh logisch? Aber in Österreich offenbar nicht. Die Sozialpartner und Länder haben angeblich zu viel zu sagen, und das Land brauche eine neue politische und parlamentarische Kultur, heißt es.
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Was wir jetzt brauchen, ist eine Opposition, die tatsächlich opponiert. Das fällt der SPÖ bekanntlich schwer. Eine Partei, die in der Zweiten Republik ein Teil des Establishments wurde, sucht jetzt einen neuen Weg: links, rechts oder den dritten Weg, den einst Tony Blair und Bill Clinton ins Gespräch gebracht haben? Das ist auch schon längst passé, Typen wie Bernie Sanders und Jeremy Corbyn sind nun die Leuchttürme der künftigen Sozialdemokratie.
Als die SPÖ sich 1966 plötzlich in der Opposition befand, spendete sie automatisch Beifall für die Regierung, ohne zu bedenken, dass sie nicht mehr dabei war. Opposition ist ein Lernprozess, der genauso wichtig ist wie Regieren, aber leider oft bitter und deprimierend. Ein britischer Politiker hat einmal gemeint: Man weiß, dass man nicht mehr in der Regierung ist, wenn man ins Auto steigt und nichts rührt sich. Niemand startet den Motor, öffnet einem die Tür, man muss solche banalen Dinge wieder selbst tun.
Im britischen Wahlkampf plädierte Theresa May für eine starke und stabile Regierung. Das klang wie eine Drohung. Was wir brauchen, ist ein starkes und unberechenbares Parlament. Und das ist es, was wir nun im Westminster erleben. Bündnisse werden überparteilich gebildet, und innerhalb der Regierungspartei wachsen kleine Oppositionsgrüppchen. Die Regierung muss Zugeständnisse machen und kann nicht immer sicher sein, dass sie eine Mehrheit für Gesetzesvorschläge findet. Auch in einer Koalition können Partner im Parlament gegeneinander abstimmen, ohne dass es gleich zwingend vorgezogene Neuwahlen geben muss.
Eine funktionierende repräsentative Demokratie ist nun, nach dem Ja der Briten zum Brexit, umso wichtiger. In Ländern, in denen die parlamentarische Demokratie nicht so ausgeprägt ist, werden Volksabstimmungen problematischer. Das Parlament könnte einfach "Ja und amen" sagen.
Ausschüsse bieten auch eine Plattform der Kontrolltätigkeit. In Großbritannien fungieren sie oft wie eine Art Untersuchungsausschuss, geleitet von Persönlichkeiten, die hohe Resonanz in den Medien genießen. Sogenannte Oppositionstage können genutzt werden, um Minister unter Druck zu setzten, damit sie wichtige Information freigeben. Ausschlaggebend ist der Parlamentspräsident - der nach dem Ausscheiden aus dieser Funktion üblicherweise keine parteipolitische Funktion mehr ausübt -, der Oppositionspolitiker und Hinterbänklern in Debatten faire Chancen gibt.
Aktionismus wird oft als Instrument des Opponierens eingesetzt. Die Parlamentarier sind aber dazu da, zu debattieren - eine verlorene Kunst, wie man oft hört und sieht. Die "Politik des Taferls" ist (oder war) medienwirksam, sie ist aber kein Ersatz für Eloquenz. Eine starke Demokratie braucht eine Regierung, die regiert - aber nicht zu viel; und eine Opposition, die opponiert - aber dabei nicht übertreibt.