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Eine Strategie, die nicht aufgeht

Von Bettina Figl

Analysen

Wie funktioniert taktisches Wählen? | Und vor allem: Wie sinnvoll ist es?


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"Keiner mag uns, aber ohne uns geht nichts. Wir sind das schmutzige kleine Geheimnis der Demokratie", schreibt Jörg Lau über Wechselwähler auf seinem gleichnamigen Blog auf "Zeit Online". Ohne Wechselwähler geht auch bei den Wahlen in Österreich nichts, sie machen laut Umfragen rund 40 Prozent der Wähler aus.

"Wechselwähler" klingt nach Wählern, die flapsig und sprunghaft wählen. Doch während der ein oder andere sicherlich sein Kreuzchen aus einer Laune heraus macht, geben so manche ihre Stimme Wahl für Wahl wohlüberlegt jener Partei, die sie als "geringstes Übel" erachten. Dahinter steckt Kalkül: Sie wollen eine oder mehrere andere Parteien schwächen oder mögliche Koalitionen verhindern. Aber macht es Sinn eine Partei zu wählen, mit der man im Grunde nicht einverstanden ist?

Kalkül ist nicht einfach

In Deutschland können Erst- und Zweitstimme an verschiedene Parteien vergeben werden. Das erleichtert strategisches Wählen ungemein; der FDP wäre damit der Einzug in den Bundestag beinahe doch noch geglückt. Zwar gaben ihr nur etwa zwei Prozent der Wähler beide Stimmen - doch gemeinsam mit jenen, die ihr zumindest eine Stimme gaben, haben die Gelben den Einzug mit 4,8 Prozent nur knapp verfehlt.

Dass das österreichische Wahlrecht weniger an Personen orientiert ist, hat historische Gründe: Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand die (berechtigte) Angst vor Personenkult. Heute sei die große Distanz zwischen Volk und Volksvertretern nicht mehr zeitgemäß, argumentieren Politologen. Bei den Parteien gibt es für eine solche Änderung des Wahlsystems keinen Konsens, denn während es einzelne Personen stärken, würde es den Klubzwang infrage stellen.

Taktisches Wählen gibt es aber auch hierzulande: Der ÖVP-Wähler, der mit der großen Koalition nicht einverstanden ist, wählt die Neos. Der SPÖ-Stammwähler aus dem Wiener Gemeindebau, der Rot-Grün verhindern will, gibt seine Stimme Stronach. Rot wählen, um Schwarz-Blau zu verhindern war Anfang der Nullerjahre der Klassiker. Doch bei der diesjährigen Wahl machen solche Überlegungen wenig Sinn, schlichtweg, weil es die entsprechenden Mehrheiten nicht gibt.

Und um jene Koalition zu verhindern, die das persönliche Horrorszenario darstellt, müssten die Parteien ihre Koalitionsabsichten vor der Wahl klarer kommunizieren. Tun sie aber nicht. Anders als in Deutschland halten sich die Parteien in Österreich vor dem Wahltag über Koalitionspräferenzen bedeckt, um sich danach möglichst alle Türen offen zu halten. (Mit Ausnahme der Neos, die gerne Schwarz-Grün-Pink hätten.) Im Klartext: Sobald der Wahlzettel in der Urne landet, ist es vorbei mit der Mitsprache.

Wie die Parteien reagieren

Parteien haben ihre eigene Strategie, um taktische Wähler zu gewinnen: Sie stellen sich personell so breit wie möglich auf, damit für jenen Wähler jemand dabei ist. Mit ihrem Aufruf zur Vergabe von Vorzugsstimmen will die kritische Sektion 8 der SPÖ Menschen, die "mit der SPÖ als Partei ihre Schwierigkeiten haben und mit sozialdemokratischen Ideen sympathisieren" zum Rotwählen mobilisieren. In einem Video zeigt Sektion-8-Vorsitzender Niki Kowall, wie SPÖ-Kandidatin Sonja Ablinger die Vorzugstimme gegeben werden kann. Der Aufruf ist eher eine innerparteiliche Geste; die Hürden zur Vorreihung der Vorzugsstimmen sind nach wie vor hoch.

Dass die Strategie beim taktischen Wählen nicht aufgeht, liegt aber nicht nur daran, dass der Wähler auf Koalitionsbildungen keinen Einfluss hat. Gibt er seine Stimme einer Partei nur aus strategischen Gründen, muss er sich sobald diese an der Macht ist doppelt ärgern: über die Entscheidungen, die diese Partei in der neuen Legislaturperiode trifft. Und, noch schlimmer, über sich selbst, denn schließlich hat er sie ja gewählt.