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Wie Gründer in Bosnien-Herzegowina den Weg aus der Armut finden.
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Sarajevo/Tuzla. Dutzende Einschusslöcher auf dem Gebäude in Sarajevo erinnern an den Bosnienkrieg, den auch Ajla Mostarac nicht vergessen kann: "Dort an der Ecke ist mein Cousin gestorben, und unter dieser Brücke habe ich während der jahrelangen Belagerung der Stadt im Fluss gebadet, als es kein fließendes Wasser gab", erzählt sie, während sie aus dem Fenster ihres Büros auf den Fluss Miljacka hinausblickt. Mostarac zählt zu einer Generation, von der ein Großteil aus ihrem Heimatland vor dem Krieg geflüchtet ist, Hunderttausende sind gestorben oder wurden verletzt.
Nur eine Flugstunde von Wien entfernt fehlt vielen Einwohnern in Bosnien-Herzegowina angesichts einer offiziellen Arbeitslosenquote von 28 Prozent die Perspektive - für sich selbst und für die Zukunft des Landes. Bürokratie und die Teilung in die Föderation Bosnien und Herzegowina und die Republika Srpska sowie in drei Volksgruppen hemmen die politische und wirtschaftliche Entwicklung.
"Eigeninitiative ist nicht in der Mentalität der Bevölkerung verankert", sagt Mostarac, die die Schuldnerberatung "U Plusu" leitet. Nach dem Ende des Bosnienkrieges 1995 sprangen Hilfsorganisationen als Geldgeber ein, wodurch die Wirtschaft anfangs florierte. Mit der stetig sinkenden internationalen Unterstützung hat sich die Dynamik in der Wirtschaft abgeschwächt. Der Anteil an Klein- und Mittelbetrieben im Land ist vergleichsweise gering.
Kühe, Hühner und Gemüse sichern das Einkommen
Besonders schwierig ist die Arbeitssuche in ländlichen Regionen. Ihr Leben selbst in die Hand genommen hat daher Hanifa Sljivic aus dem Dorf Zivinice: Als sie und ihr Mann etwas Geld übrig hatten, kaufte ihr Mann Zigaretten, sie kaufte ein Kalb. Mittlerweile hat die Bäuerin fünf Kühe, mehr als 100 Hühner, einige gepachtete Felder und einen Traktor. Käse, Butter, Sauerrahm und Gemüse verkauft sie auf dem Markt im nahegelegenen Tuzla.
Finanziert hat Sljivic die Erweiterung ihres Bauernhofes mit Mikrokrediten vom bosnischen Anbieter Mi-Bospo, der einen Teil seines Kapitals vom Mikrokreditfinanzierer Oikocredit bezieht. Von dem Darlehen für Menschen, die von Banken wegen mangelnder Sicherheiten keinen Kredit bekommen, erfuhr sie durch Zufall: "Auf dem Markt flüsterten einige Frauen über Mikrokredite", erzählt Sljivic bei einem Besuch auf ihrem Hof auf Einladung von Oikocredit. Obwohl sie mittlerweile bei einer "normalen" Bank einen Kredit bekommt, bleibt sie Kunde bei Mi-Bospo, weil sie den persönlichen Kontakt mit der Organisation schätzt.
Gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter arbeitet die Bäuerin am Hof. Der Verkauf der Produkte wirft monatlich rund 1000 Euro ab. Zum Vergleich: Das Durchschnittsnettoeinkommen liegt bei 415 Euro. Diese Zahl relativiert sich allerdings, wenn man die blühende Schwarzarbeit berücksichtigt. "Ziel ist es, dass sich die Kleinunternehmer registrieren und Steuern zahlen", heißt es von den Mikrokreditorganisationen.
"Nur Spenden sind kein Weg, um ein Land aufzubauen"

Sein Unternehmen registriert hat Barcic Admir. Gemeinsam mit seiner Frau Fadila baut er in fünf Gewächshäusern Tomaten und Gurken an, die er am Markt verkauft. Bald will er auf Glashäuser umsteigen, um schon früher ernten zu können; auch Bohnen, Melonen und Erdbeeren will er anbauen. Der Kunde der Mikrokreditorganisation EKI bekommt bei einer Bank keinen Kredit: "Da würde ich mehr Sicherheiten benötigen, die Landwirtschaft ist ja stark von der Witterung abhängig." EKI vergibt nicht nur das Darlehen, sondern half auch mit Ratschlägen, als einige seiner Pflanzen krank wurden.
Die fachliche Unterstützung und der persönliche Umgang mit Kunden sind Gründe, warum Mikrokredite höhere Zinsen vorsehen als herkömmliche Bankkredite, sagt Günter Lenhart, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Oikocredit Österreich. Die durchschnittliche Mikrokredithöhe liegt mit 1300 Euro weit unter Bankkrediten. "Mikrokredite sind keine Lösung, sondern ein Schritt, um Menschen bankfähig zu machen. Mit Mikrokrediten wollen wir den Wirtschaftsaufschwung unterstützen", so Lenhart.
Oikocredit investiert außerdem in Beratungseinrichtungen wie "U Plusu". In zwei Büros in Sarajevo und Tuzla sowie unter einer kostenlosen Telefonhotline werden Schuldner beraten. Rund 200.000 der knapp vier Millionen Staatsbürger sind überschuldet - eine Folge aus den Jahren bis 2008, in denen Kredite rasch vergeben wurden. "Eine einzige Person nahm bis zu acht Kredite von Banken und Mikrokreditorganisationen auf, die sie später nicht zurückzahlen konnte", sagt Mostarac. Ein Privatkonkurs wie in Österreich existiert in Bosnien-Herzegowina nicht.
Seit 2008 sind in einer zentralen Datenbank alle Kredite einer Person registriert. "U Plusu" informiert in Vorträgen Jugendliche und Erwachsene außerdem über Konto und Kreditkosten. Schuldnerberaterin Mostarac: "Nur Spenden sind kein Weg, um ein Land wieder aufzubauen. Wir brauchen auch Unterstützung bei Wirtschaftswissen und Soft Skills."
Mikrokredite
Mikrokredite sind eine alternative Anlageform zum Sparbuch. Als Erfinder gilt Muhammad Yunus. Das bei Mikrokreditorganisationen wie Oikocredit angelegte Kapital wird für Darlehen in Entwicklungsländern verwendet. Kreditnehmer, die bei einer Bank keinen Kredit bekommen, erhalten neben Geld auch fachliche Unterstützung. Ziel ist die Verbesserung der Lebenssituation der Kreditnehmer.
Oikocredit International mit Sitz in den Niederlanden verfügt über ein Projektfinanzierungsportfolio von 530 Millionen Euro, davon 42,1 Millionen in Österreich. Von den 84.000 Investoren stammen 3500 aus Österreich. Unterstützt werden 854 Partnerorganisationen in 70 Ländern. Die Kreditausfallsrate liegt unter einem Prozent. Anleger können einen Beitrag ab 200 Euro in Oikocredit investieren, das Geld kann jederzeit behoben werden. Die Dividende betrug bisher jährlich rund zwei Prozent.