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Eine Taktikerin, keine Heldin

Von Klaus Huhold

Politik

Erneut vermeidet Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, Myanmars Militär wegen der Übergriffe auf Rohingya zu kritisieren. Ihre Partei, die NLD, ist im politischen Alltag angekommen - und droht ihr demokratisches Erbe zu verspielen.


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Rangun/Wien. Lange hat sie geschwiegen, nun hat sich Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi zur Rohingya-Krise wieder einmal zu Wort gemeldet. "Im Nachhinein betrachtet gibt es natürlich Wege, auf denen besser mit der Situation hätte umgegangen werden können", sagte die 73-Jährige am Donnerstag bei einem Besuch in Vietnam.

700.000 Rohingya sind Schätzungen zufolge nach Bangladesch geflohen. Satellitenbilder zeigen, dass ganze Dörfer niedergebrannt wurden, die UNO berichtet von willkürlichen Tötungen durch Sicherheitskräfte, von Vergewaltigungen, spricht gar von einer "ethnischen Säuberung". Suu Kyi blieb auch in ihrer jüngsten Aussage bei ihrer Linie, dass sie jede direkte Verurteilung der Gewalt gegen die moslemische Minderheit vermeidet, sie benennt diese nicht einmal.

Die "Ikone der Freiheit" (so der Titel einer Biographie über Suu Kyi) hat damit international für große Enttäuschung gesorgt. Der südafrikanische frühere Erzbischof Desmond Tutu, ebenfalls ein Friedensnobelpreisträger, schrieb in einem offenen Brief an seine "Schwester", dass es mit ihrer Vergangenheit doch unvereinbar sei, nun an der Spitze eines Landes zu stehen, in dem derartige Vertreibungen stattfinden.

Suu Kyi war bereit, "das Erbe des Nobelpreises zu opfern"

Jahrzehntelang hatte Suu Kyi einer brutalen Militärjunta die Stirn geboten, dafür insgesamt 15 Jahre unter Hausarrest verbracht. Nun, nach der politischen Transformation und Demokratisierung des Landes, hat ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) die Wahlen 2015 klar gewonnen Suu Kyi ist Regierungschefin.

In den Jahren des Freiheitskampfes wurde Suu Kyi stilisiert - und offenbar vielerorts auch falsch eingeschätzt. Die Anführerin der NLD sei keine Menschenrechtsaktivistin, sondern eine Politikerin, "die ihre Spielräume erkennt und taktische Entscheidungen trifft", sagt Rainer Einzenberger. Er war von 2010 bis 2014 Programmdirektor der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Myanmar, hat damals Suu Kyi kennengelernt und den Eindruck gewonnen, dass sie durchaus machtbewusst ist und kühl kalkuliert.

"Sie hat keine Handhabe, gegen das Militär vorzugehen", erklärt Einzenberger, der nun in Wien am Institut für Internationale Entwicklung forscht. Ganz im Gegenteil: Hätte sie sich gegen die Generäle gestellt, hätte sie riskiert, dass diese sie erneut isolieren. "So war sie bereit, das Erbe des Nobelpreises zu opfern, um ihr politisches Erbe nicht zu gefährden", sagt Einzenberger.

Im Land selbst hat Suu Kyis Haltung sogar "zu einer deutlichen Stärkung ihres Rückhalts geführt", sagt der Politologe Wolfram Schaffar, der bis vor kurzem eine Professur an der Universität Wien innehatte und ein renommierter Experte zu südostasiatischer Politik ist. Laut Schaffar käme hier ein "postkolonialer Reflex" zum Vorschein. Man wolle sich vom Westen, der das Land einst kolonialisiert hat, nicht mehr vorschreiben lassen, wie man mit seinen internen Angelegenheiten umzugehen hat.

Hinzu kommt: Abgesehen von ein paar Künstlern und Intellektuellen begegnet man immer wieder einer großen Verachtung gegenüber den Rohingya. Zwar haben sich einige andere Minderheitenvertreter solidarisch mit den Rohingya erklärt, doch vor allem unter der Mehrheitsbevölkerung der Burmesen gibt es ein nationalistisches Überlegenheitsgefühl. Und dieses scheint besonders stark die Rohingya zu treffen, denen das Recht, ein Teil des Vielvölkerstaates Myanmar zu sein, abgesprochen wird. Befeuert wird diese Haltung durch radikale buddhistische Mönche, die predigen, dass der Islam den Buddhismus in Myanmar auslöschen wolle.

Burmesischer Nationalismus und ein mächtiges Militär

Das ist also die Gemengelage, in der sich Suu Kyi bewegt: Ihre NLD muss auf den burmesischen Nationalismus eine Antwort finden - und im Moment bedient sie ihn auch immer wieder. Und obwohl sie den Großteil der Regierung stellt, ist die NLD mit einem mächtigen Militär konfrontiert, das weiterhin die Verwaltung beherrscht und entscheidende Ministerien wie das für Inneres oder Verteidigung besetzt.

Wie eingeschränkt der Spielraum der NLD ist, zeigt sich bei den Verhandlungen mit den Minderheiten. In Myanmar leben rund 130 ethnische Gruppen. Diese sahen sich in den vergangenen Jahrzehnten stark diskriminiert allein schon dadurch, dass die Gewinne aus den Bodenschätzen in ihren Regionen an die Zentralregierung und das Militär flossen. Es haben sich dutzende Rebellenarmeen gebildet - mit manchen wurde bereits ein Friedensvertrag geschlossen, mit anderen ein Waffenstillstandsabkommen, in manchen Regionen wird aber auch noch gekämpft. Während die NLD zu verhandeln versucht, schafft das Militär die Fakten auf dem Schachtfeld - und es liegt in seinem Gutdünken, ob es sich dabei mit der NLD abspricht.

"Bei vielen Minderheiten ist die Enttäuschung über die NLD groß", berichtet Einzenberger, der immer wieder in den Chin-Staat, wo verschiedene ethnische Gruppen leben, reist. Zwar gab es für mache Volksgruppen einzelne Verbesserungen, sie dürfen nun etwa, was ihnen bisher nicht erlaubt war, auch muttersprachlichen Unterricht abhalten. Aber viele Fragen sind ungeklärt, darunter die künftige Verteilung der Ressourcen. Es schwindet der Glaube, dass die NLD das löst.

Damit droht diese eine Chance zu verspielen: Die NLD erhielt bei der letzten Wahl auch unter den Minderheiten viel Zuspruch. Nur Suu Kyis Partei - und nicht die zweite Großpartei, die vom Militär getragene USDP - hat das Potenzial, eine Partei für alle Bürger Myanmars zu sein. Gelingt ihr das nicht, droht eine Zersplitterung der politischen Landschaft entlang ethnischer Zugehörigkeiten.

Die NLD - von der viele Vertreter einst für die Freiheit im Gefängnis saßen - verliert derzeit ihr demokratisches Erbe aus den Augen. Die Landreform und die Wiedergutmachung von Enteignungen sind unter ihrer Regentschaft ins Stocken geraten. Nun sind es NLD-Politiker, die Journalisten wegen Rufschädigung klagen. Erst kürzlich wurden zwei Reporter der Nachrichtenagentur Reuters zu Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie über ein Massaker an Rohingya recherchiert haben. Suu Kyi verteidigte das Urteil: Das Gericht habe lediglich festgestellt, dass die Journalisten das Gesetz für Staatsgeheimnisse verletzt hätten. Dieses geht aber auf die Kolonialzeit zurück und wurde damals zur Zensur eingesetzt. "Suu Kyi spricht immer von Rechtsstaatlichkeit, aber sie sagt nie, was sie meint", kritisiert Einzenberger.

Wir in Europa haben"Tomaten auf den Augen"

Schaffar verweist noch auf einen weiteren Aspekt: "Die Entspanntheit, mit der die Administration zwei für ein westliches Medium arbeitende Journalisten in ein Gefängnis steckt, lässt sich nur vor dem Hintergrund erklären, dass das im Umfeld Chinas geschieht", sagt er. Die Volksrepublik hat in Myanmar wieder an Terrain gewonnen. Sie stützt das Nachbarland in der Rohingya-Krise, gleichzeitig steht sie im engen Kontakt mit Rebellengruppen und ist somit ein innenpolitischer Akteur in Myanmar, sie treibt geduldig ihre Infrastrukturprojekte voran. Suu Kyi ist mittlerweile in Peking ein gern gesehener Gast. "Sie war einst die Verkörperung der Hinwendung ihres Landes zum Westen. Aber auch das hat sich geändert", sagt Schaffar.

Erst kürzlich hat sie in China ein "Memorandum of Understanding" zum Seidenstraßenprojekt unterschrieben. Mit der Neuen Seidenstraße will China ein Handelsnetzwerk um die ganze Welt legen - und das rohstoffreiche, zwischen Indien und China gelegene Myanmar ist dabei ein zentraler Baustein.

"Wir haben in Europa bezüglich des Aufstiegs Chinas und des Seidenstraßenprojekts Tomaten auf den Augen", sagt Schaffar. "China richtet sich nicht nur militärisch und wirtschaftlich aus." Es sei auch bezüglich der Regierungsführung Vorbild geworden. Somit ist die politische Entwicklung Myanmars in einem größeren Kontext zu sehen: Sie spielt sich in einer Region ab, in der in Kambodscha die Opposition ausgeschaltet wurde, in der in Thailand eine Militärdiktatur herrscht und auf den Philippinen mit Rodrigo Duterte ein Präsident das Sagen hat, der sich um Menschenrechte nicht schert Und je globaler China sein Netz spannt, desto stärker strahlt seine Anziehungskraft - nicht nur in Asien.