Aus fiskalischer Sicht ist Europa oft wie ein Pferd ohne Reiter. Eine "Tea Party"-Bewegung wie in den USA wäre nützlich, um Europas Politiker zu mehr Vernunft zu zwingen.
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Auch wenn ich mich damit in Gefahr bringe zu übertreiben, möchte ich Folgendes anregen: Die Weltwirtschaft braucht eine europäische "Tea Party"-Bewegung, die sich für fiskalischen Konservatismus einsetzt. Viele verspotten die "Tea Party"-Agitatoren in den USA als rechte populistische Randgruppe. Und in mancher Hinsicht trifft das auch zu. Finanzministerium oder Notenbank würde ich ihnen nicht gern überlassen. Dennoch erweisen sie sich als sehr nützlich, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit der US-Politik auf die Notwendigkeit fiskalischen Verantwortungsbewusstseins zu lenken.
In Europa fehlt so eine Bewegung, die ein strenges Auge auf zu hohe Staatsausgaben haben könnte. Die Skepsis ist vor dem Hintergrund der schlechten Erfahrungen der Europäer mit der Ansteckungsgefahr des rechten Populismus verständlich, sie bewirkt aber auch, dass Europa keine starke Stimme hat, die hilfreich gegen zu hohe Verschuldung wirken könnte.
Europa ist in vielerlei Hinsicht ein ökonomisches Wolkenkuckucksheim. Es gibt zwar eine Europäische Zentralbank und den Euro, es gibt aber auch mehrere Dutzend Finanzministerien, die alle eine eigene Finanzpolitik betreiben, die sich vielfach so zusammenfassen lässt: Ausgaben, Ausgaben, Ausgaben. Aus fiskalischer Sicht ist Europa oft wie ein Pferd ohne Reiter.
Investoren akzeptieren solch unsichere Verhältnisse, bis sie plötzlich - aus welch mysteriösen Gründen auch immer - in Panik geraten und die Lage als unhaltbar einschätzen. Genau das ist in den letzten Wochen passiert: Die Finanzmärkte äußerten angesichts des europäischen Schulden-Chaos ein kollektives Igitt-Igitt. Besorgnis erregt vor allem Portugals, Irlands, Griechenlands und Spaniens Verschuldung; manche Ökonomen fügen mittlerweile auch Italien hinzu.
Aber die Verschuldung ist nur ein Teil des Problems. Sie war im Boom-Land Indien im Vorjahr in Prozenten des Bruttoinlandsprodukts höher als in Portugal, Irland oder Spanien. Das gravierendere Problem ist der Mangel an politischem Willen in Europas langsamer wachsenden Staaten, sich den ausufernden öffentlichen Ausgaben zu stellen und die Fiskalpolitik auf einen zukunftsfähigen Weg zu bringen.
Die beste Analyse des globalen fiskalischen Ungleichgewichts, die ich kenne, stammt von Mervyn King, dem Chef der Bank of England. Etwas voreingenommen könnte ich bei dieser Einschätzung zwar sein (ich habe bei ihm studiert), aber ich bin ziemlich sicher, dass er der Beste seines Fachs ist. Ganz speziell möchte ich seine Rede vom 19. Jänner empfehlen (nachzulesen auf der Website der Bank of England).
In seinem "Sudoku for Economists" zeigt King das Grundproblem in einem einfachen Diagramm der Interaktion zwischen sparsamen Ländern (China und andere asiatischen Staaten) und nicht sparsamen Ländern (USA und Europa) auf. Die Rechnung geht nur dann auf, wenn der Überschuss der "High Savers" dem Defizit der "Low Savers" entspricht. Wie wir aber 2008 und 2009 gesehen haben, ist dieses System wegen des Ungleichgewichts nicht sehr lang aufrecht zu halten. Es handelt sich hier aber um ein politisches, nicht um ein sachliches Problem, sagt King. Kein Weg führt daran vorbei: Die "Low Savers" müssen ihr Leben auf Pump einschränken, weniger Kredite im Ausland nehmen, weniger konsumieren.
In den USA übt die "Tea Party"-Bewegung, wie sich zeigt, mächtigen Druck auf die Politiker aus. Auch Präsident Barack Obama hat ihr Anliegen bereits in seine Politik aufgenommen. In Europa fehlt dieser Druck. An sich wünsche ich diese Bewegung ja niemandem an den Hals, aber Europa könnte ein bisschen von deren Leidenschaft für fiskalisches Verantwortungsbewusstsein gut brauchen.
Übersetzung: Redaktion