Zwei Bomben rechtzeitig entschärft. | Islamisten bekennen sich zu der Tat. | Neu Delhi. (dpa) Die Straßen der westindischen Millionenmetropole Ahmedabad sind mit Menschen gefüllt. Wie an jedem Abend drängeln sich am Samstag Tausende auf den zahlreichen Freiluftmärkten, um noch vor Einbruch der Dunkelheit das Nötigste zu besorgen. Auch am Hatkeschwar Circle südöstlich des Hauptbahnhofs herrscht geschäftiges Treiben. Durch das Gewühl schiebt ein Mann sein Fahrrad, stellt es ab und fragt an einem Obststand nach den Preisen. Dann, so erinnern sich Zeugen, verschwindet der Unbekannte und lässt das Fahrrad zurück.
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Wenige Minuten später zerreißt eine Explosion das Stimmengewirr. Das kurz zuvor abgestellte Fahrrad liegt in Stücke gerissen am Boden. Rundherum herrscht Chaos. Menschen krümmen sich blutüberströmt auf dem Asphalt. Drei von ihnen sterben.
Die Fahrrad-Bombe ist die erste von insgesamt 16, die am Samstag binnen weniger als zwei Stunden Ahmedabad und ganz Indien erschüttert haben. Zwei Bomben wurden rechtzeitig entdeckt und entschärft.
Fast alle Sprengsätze seien an Fahrrädern angebracht gewesen, erklärte ein Polizeisprecher. Fast alle explodierten auf belebten Märkten und in Wohnvierteln. Mindestens 49 Tote und 200 Verletzte lautet die vorläufige Bilanz dieser verheerenden Bombenattentate.
Ahmedabad ist nicht die erste Anschlagserie in Indien. Zuletzt starben am Freitag zwei Menschen bei acht aufeinander folgenden Explosionen in der südindischen Hightech-Metropole Bangalore. Mitte Mai kamen mehr als 60 Zivilisten bei Terroranschlägen in der auch bei ausländischen Touristen beliebten Stadt Jaipur ums Leben. In den Jahren zuvor forderten Bomben in Hyderabad, Bombay und der Hauptstadt Neu Delhi fast 300 Todesopfer. Alle Anschläge folgten einem Muster - in dichter Folge explodierten mehrere Sprengsätze.
"Rache" fürmuslimische Opfer
Dennoch ist die Bombenserie von Ahmedabad, zu der sich wie schon in Jaipur die Terrorgruppe "Indische Mujaheddin" bekannte, ein Novum. Diesmal lieferten die Extremisten eine Begründung für die Tat mit: Es handle sich sie um einen "Racheakt" für die muslimischen Opfer, die vor sechs Jahren bei gewaltsamen Übergriffen radikaler Hindus in Ahmedabad und anderen Städten des Bundesstaates Gujarat ums Leben gekommen waren.
Auslöser der Gewalt war damals der blutige Überfall auf einen Zug, bei dem 59 hinduistische Pilger verbrannten. Stunden später begannen bewaffnete Hindus überall in Gujarat Wohnviertel von Muslimen anzugreifen. Zwischen Ende Februar und April 2002 starben nach Angaben von Menschenrechtlern mehr als 2500 Menschen. Bis heute leben tausende Muslime in Flüchtlingslagern. Ein unabhängiges Tribunal befand später die von der hindu-nationalistischen Indischen Volkspartei BJP geführte Landesregierung für schuldig, dem Mob aus politischem Kalkül nichts entgegengesetzt zu haben.
Im Amt war schon damals Gujarats Ministerpräsident Narendra Modi. Immer wieder hat er die seit Jahrzehnten existierenden Spannungen zwischen den religiösen Gruppen genutzt, um auch öffentlich Stimmung gegen die 140 Millionen indischen Muslime zu machen. Für Modi, sagt die Bürgerrechtlerin Teesta Setalvad, seien Muslime keine Bürger, sondern die "fünfte Kolonne" des islamischen Nachbarn und Erzfeindes Pakistan. Auch die USA verweigern Modi übrigens seit Jahren ein Einreisevisum wegen "schwerer Verstöße gegen die Religionsfreiheit".
Die selbst ernannten "Indischen Mudschaheddin" haben am Wochenende in Ahmedabad jedoch keinen Unterschied zwischen Hindus und Muslimen gemacht. Unter den Opfern waren Menschen beider Religionsgruppen.
Politik befürchtetAusschreitungen
Spitzenpolitiker aller Parteien - darunter auch Modi - riefen die Bevölkerung dazu auf, Ruhe zu bewahren. Polizei und Armee wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt, um die befürchteten Ausschreitungen zu verhindern. Bisher mit Erfolg. In ganz Indien zeigten sich die Menschen über die vielen unschuldigen Opfer der Bombenserie tief erschüttert.