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Es war wahrscheinlich unvermeidlich. Irgendwie musste sich der Ansturm auf die "Cultural Studies" an den Hochschulen ja auswirken. Die Feuilletonisierung aller Lebensbereiche im angewandten Journalismus ist da nur ein Nebenaspekt. Diese Entwicklung hat Folgen. So führt die Feuilletonisierung des Politischen dazu, dass Form vor Inhalt kommt. Vielleicht ist das auch ein Grund für den wachsenden Anteil an Bürgern, die Politik nicht mehr ernst nehmen.
Genau umgekehrt wirkt sich die Feuilletonisierung im Sport aus. Die ist, was den Fußball angeht, nicht neu; immerhin dichtete schon 1939 Friedrich Torberg "Er war ein Kind aus Favoriten und hieß Matthias Sindelar." Doch seitdem hat sich die soziale Aufladung des Sports um Zehnerpotenzen gesteigert.
Das ist sehr oft wunderbar zu lesen; und tatsächlich hat gerade der Fußballsport nicht nur unzählige Philosophen inspiriert, sondern selbst etliche hervorgebracht: etwa den Argentinier Cesar Luis Menotti, den Niederländer Johan Cruyff, den Brasilianer Sokrates oder den Ur-Wiener Ernst Happel. Die Intellektualisierung des Fußballs wird nur noch von der Explosion der Transferpreise seiner Spieler übertroffen.
Dass sich daraus auch Tücken ergeben, ist den meisten jedoch nicht bewusst. Vor allem für die Spieler lauern Gefahren. Die Mechanismen des durchkapitalisierten Spitzensports erfordern, dass Talente von Jugend an alles dem Sport unterordnen, nicht zuletzt auch ihre Ausbildung in anderen Fächern.
Die Projektion von gesamtgesellschaftlichen Problemen und Erlösungsfantasien auf den Fußballsport birgt das Risiko in sich, viele seiner Spieler zu überfordern. Der Fall rund um den nun aus dem deutschen Nationalteam zurückgetretenen türkischstämmigen Mesut Özil veranschaulicht, wie eine Debatte aus dem Ruder laufen kann.
Özil, ein Weltmeister von 2014, hatte im Vorfeld der WM für ein Foto mit dem wahlkämpfenden autoritären türkischen Staatspräsidenten Erdogan posiert. Das warf berechtigte Fragen nach dem gebotenen Selbstverständnis eines deutschen Nationalspielers auf, die vom Spieler selbst nicht und vom DFB nur unzureichend beantwortet wurden. Das klägliche Scheitern bei der WM befeuerte die Diskussion um Özils Rolle weiter. Dabei ging es längst nicht mehr um Sport, sondern um die Metathemen Integration und die Gefährdung der liberalen Demokratie.
An den Antworten auf diese Herausforderungen scheitern schon die klügsten Köpfe, doch nun wurden sie von einem eingefordert, der nachweislich vor allem eines im Sinn hat: Fußball spielen. Das kann nur schiefgehen. Immerhin: Die Feuilletonisten in den Sportressorts haben jetzt viel zu schreiben.