Minister Töchterle will gesetzliche Regelung, SPÖ will nur eine Reparatur.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Über die Sinnhaftigkeit von Studiengebühren werden SPÖ und ÖVP vermutlich noch länger streiten. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat nämlich Bedenken gegen die "autonome" Vorschreibung und Einhebung von Studiengebühren durch die Universitäten. Das könnte der Verfassung oder dem Universitätsgesetz (UG) widersprechen, erklärte VfGH-Präsident Gerhart Holzinger am Mittwoch in einer Pressekonferenz. Deshalb habe man ein Verordnungsprüfungsverfahren betreffend die entsprechenden Bestimmungen in der Satzung der Universität Wien eingeleitet.
Konkret hat der VfGH in zwei Punkten Bedenken: Die Vorschreibung von Studiengebühren unterliege einer besonderen staatlichen Verantwortung, die Übertragung einer weitreichenden Verantwortung dürfte damit nicht im Einklang stehen. Selbst wenn man diese Auffassung nicht teile, müsse man sich fragen, ob der Umstand, dass im UG nach wie vor auf Studiengebühren Bezug genommen wird, nicht eine autonome Regelung durch die Unis ausschließe.
Die Lösung des Problems wäre eine gesetzliche Regelung. Dazu können sich die Koalitionspartner aber nicht durchringen. Beziehungsweise haben sie völlig unterschiedliche Vorstellungen einer Lösung. Während die ÖVP klare Befürworterin von Studiengebühren ist, findet sich in der SPÖ eine klare Mehrheit dagegen. Da aber der Vorwahlkampf eröffnet ist und sich Bundeskanzler Werner Faymann in der Sozialdemokratie daher jetzt kein neues Diskussionsfeld eröffnen will, scheint es so zu sein, dass die Entscheidung dem VfGH zukommen wird. Und in welche Richtung diese geht, hat Präsident Holzinger bereits angedeutet. Immerhin führen in 85 Prozent der Fälle solche vorläufigen Bedenken tatsächlich zur Aufhebung der entsprechenden Bestimmungen. Also könnten die Studiengebühren, die derzeit von acht Universitäten autonom verlangt werden, nicht mehr eingehoben werden. Im ersten Quartal 2013 will das Höchstgericht seine Entscheidung bekannt geben.
Uni Wien hebt
Gebühren trotzdem ein
Zwar hat Holzinger die Unis aufgefordert, mit einer Einhebung von Gebühren "vorsichtig" umzugehen. Die Universitäten lassen sich aber vorerst nicht aus der Bahn werfen. Die Universität Wien versicherte, sie werde die Gebühren bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des VfGH einheben. Sollte das Höchstgericht dagegen entscheiden, würden die eingezahlten Gebühren refundiert. Die Universitätenkonferenz zeigte sich von der Ankündigung Holzingers enttäuscht, sie hätte eine raschere Entscheidung des VfGH erwartet.
Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle begrüßte einmal, dass der VfGH Klarheit darüber herstellen werde, ob die Unis autonom Gebühren einheben dürfen. Er selbst sei bemüht, durch eine gesetzliche Neuformulierung Rechtssicherheit zu schaffen.
Töchterle hat ja bereits ein Modell vorgelegt, wie er sich Studiengebühren vorstellt: Demnach sollen die Unis individuell entscheiden können, ob und in welcher Höhe sie Gebühren von bis zu 500 Euro pro Semester einheben. 90 Prozent der Beiträge sollen der Uni bleiben, zehn Prozent in einen "Sozialfonds" für bedürftige Studenten wandern.
ÖVP-Cortolezis: "Den Unis nicht in den Rücken fallen"
Von Studenten aus Nicht-EU- beziehungsweise Nicht-EWR-Staaten können sogar "kostendeckende Studienbeiträge" verlangt werden. Gebührenbefreit wäre aber nur eine viel kleinere Gruppe - Studienbeihilfenbezieher, Studenten in Mobilitätsprogrammen und behinderte oder beurlaubte Studenten. Parallel dazu soll die Studienbeihilfe ausgebaut werden.
ÖVP-Wissenschaftssprecherin Katharina Cortolezis-Schlager sprach sich gegenüber der "Wiener Zeitung" für eine politische Lösung aus: Bis Jahresende sollte es entweder einen Initiativantrag - also auf parlamentarischer Ebene - oder eine Regierungsvorlage dazu geben. Auch sie ist für eine Gebühr von 500 Euro - bei Drittstaatenangehörigen bis zum Deckungsgrad -, stellt sich aber eine andere Aufteilung vor: 60 Prozent sollten den Universitäten für die Lehre zur Verfügung stehen, 40 Prozent in Studienbeihilfe gehen. "Wir dürfen den Universitäten jetzt nicht in den Rücken fallen", sagte Cortolezis. Diese bräuchten das Geld, denn auch wenn die Studienplatzfinanzierung komme, bräuchte es etwa zehn Jahre, bis große Unis umgestellt werden könnten. Die ÖVP-Wissenschaftssprecherin kann sich jedenfalls einen Kompromiss zwischen einem völlig neuen Modell und einer Reparatur bis Jahresende vorstellen.
Auch die "SPÖ ist zu einer politischen Lösung bereit". Das betont Wissenschaftssprecherin Andrea Kuntzl. Allerdings eben unter dem Gesichtspunkt der Reparatur, denn sie verwies auf den von Töchterle bereits mehrmals abgelehnten SPÖ-Vorschlag. Demnach soll das "alte" Studiengebührenmodell (das mit der von den Unis autonom angewandten Regelung praktisch ident ist) mit seinen zahlreichen Ausnahmen von der Gebührenpflicht wieder repariert werden.
Wissen: Studiengebühren an Unis und FH
Mit dem Wintersemester 2001/02 wurden die von der ÖVP-FPÖ-Regierung 2000 beschlossenen Studiengebühren eingeführt. Es kam zu massiven Studentendemonstrationen. Damals lag die Höhe bei 5000 Schilling pro Semester, 2002 wurde das in 363,36 Euro umgerechnet - seither ist der Betrag gleich geblieben.
Die Studentenzahl ist um 19,7 Prozent, jene der Studienanfänger um rund 14 Prozent gesunken. Seither steigen die Studierendenzahlen aber wieder kontinuierlich.
Im Sommer 2006 hat der damalige SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer zum Auftakt des Nationalratswahlkampfes die Abschaffung der Gebühren verkündet - falls er Bundeskanzler wird. In den Koalitionsverhandlungen hat er sich im Jänner 2007 mit der ÖVP aber darauf geeinigt, dass die Studiengebühren bleiben, dafür sollte das Stipendiensystem ausgebaut werden.
In der ominösen Nationalratssitzung vom 24. September 2008, einige Tage vor der Nationalratswahl, als schon das Spiel der freien Kräfte galt, wurden mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und Grünen die Studiengebühren de facto abgeschafft. Gebührenbefreit wurden Österreicher und EU-Bürger, die innerhalb der Mindeststudiendauer plus zwei Toleranzsemestern studierten. Wer aus einem Drittstaat kam oder länger brauchte, musste weiterhin 363,36 Euro pro Semester zahlen. Es galten aber zahlreiche Ausnahmen. Den Unis wird der Einnahmen-Entfall in der Höhe von 150 Millionen Euro aus dem Bundesbudget abgegolten.
Diese Regelung mit den zahlreichen Ausnahmen hat der Verfassungsgerichtshof im Juli 2011 gekippt. Die Regierung erhielt bis 29. Februar 2012 Zeit, das Gesetz zu reparieren.
Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle veröffentlichte Ende 2011 ein von ihm beauftragtes Gutachten von Heinz Mayer, wonach Unis autonom Studiengebühren in beliebiger Höhe in ihren Satzungen festschreiben können. Die SPÖ legte kurz darauf Gegengutachten vor, wonach keinerlei Gebühren mehr eingehoben werden können.
Da sich die Regierung auf keine Neuregelung einigen konnte, sind mit 1. März 2012 jene Bestimmungen, die regeln, wann und in welcher Höhe Studiengebühren zu zahlen sind, gefallen.
Im Oktober haben daher die Senate von acht der 21 öffentlichen Universitäten entschieden, in Eigenregie Studiengebühren einzuheben. An der Universität Wien, der Uni Innsbruck, der Wirtschaftsuniversität, der Uni Graz, der Technischen Uni Graz, der Uni Linz, der Veterinärmedizinischen Universität und am Mozarteum Salzburg müssen jene Studenten Gebühren bezahlen, die die Mindeststudiendauer um mehr als zwei Semester überschritten haben bzw. aus Nicht-EU-Staaten kommen. Das sind rund zehn Prozent aller Studenten. Das nunmehrige VfGH-Verfahren hat die Bescheidbeschwerde eines Studenten an der Uni Wien ausgelöst.
Im Gegensatz zu den Universitäten können die Fachhochschulen (FH) selbst entscheiden, ob sie kassieren wollen. Derzeit ist das Studium nur an fünf der 21 FH gratis. Für die Pädagogischen Hochschulen (PH) gelten dieselben umfangreichen Ausnahmeregeln bei Studiengebühren wie früher an den Unis, im Bachelor-Studium sind wegen des stark verschulten Systems rund sechs Prozent der Studenten beitragspflichtig. Auf Master-Niveau müssen derzeit an den PH indes alle Studenten bezahlen, die Höhe des Beitrags reichen je nach Lehrgang von den üblichen 363 Euro pro Semester bis zu knapp 10.000 Euro für das zweijährige Studium.