Wenn alle, Rechte wie Linke, nur noch zurück wollen, haben wir das Ende der Geschichte tatsächlich erreicht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Zukunft, das war einmal die Kernkompetenz von Politik. Doch weil sich heute viele Menschen nicht vorstellen können, dass das, was da auf sie zukommt, die Dinge zum Besseren wendet, verlegen sich immer mehr Politiker darauf, den Fokus ihrer Politik auf die Vergangenheit zu richten. Retro-Utopien lautet der Terminus technicus dafür, und Kollege Thomas Seifert hat das am vergangenen Wochenende mit Bezug auf die Rechtspopulisten von Trump und Co. konzis zusammengefasst.
Der verklärte Blick zurück ist allerdings keine exklusive Eigenschaft dieser Sorte von Politikern. Auch das Paradies der Linken liegt spätestens seit den 1980er Jahren, als die Wirklichkeit begann, immer ungemütlicher zu werden, in der Vergangenheit. Damals waren die Regierungsparteien noch in der Lage, nicht nur über ihre Klientel das staatliche Füllhorn auszuleeren, sondern auch die Gesellschaft nach ihrer Vorstellungen umzugestalten. In den 1970ern, so stellt sich das heute dar, marschierte die Politik, die vorwiegend eine sozialliberale war, an der Spitze des Fortschritts - und das Volk folgte. Das war der Stoff, aus dem die Kreisky-Ära war - und die Erinnerung daran hat sich bis heute erhalten. In diese Zeit, als der Nationalstaat die Probleme noch in Eigenregie zu regeln vermochte, will seitdem jeder Sozialdemokrat zurück.
Diese Sehnsucht ist in der Substanz erstaunlich nahe den Schlachtrufen Trumps ("Make America great again") und der Brexiteers ("Take back control"). Beide haben nur den Nachteil, dass sich die Vergangenheit noch nie wiederholen hat lassen.
Natürlich ist unsere Furcht vor der eigenen Zukunft kein Zufall, sondern Ergebnis hartnäckiger Bemühungen einer beachtlichen (Nachrichten- und Informations-)Industrie rund um das Geschäft mit der Dystopie. Beginnend mit den Katastrophenszenarien eines Thomas Malthus, der an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert vor den Folgen einer heraufziehenden Überbevölkerung warnte, hat die Moderne eine bemerkenswerte Angstlust entwickelt, den drastischen Schilderungen rehtorisch begabter Weltuntergangspropheten zu lauschen. Im Unterschied zu ihren alttestamentarischen Vorläufern verfolgen ihre modernen Nachfahren - neben hoffentlich guten Absichten - auch ein plausibles Geschäftsmodell, das nach dem Motto "nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten" funktioniert. Den Grünen ist es sogar gelungen, auf der Angst vor einem "weiter so" ein erfolgreiches politisches Start-up zu begründen. Dieser Erfolg findet nun eben Nachahmer, die dieses Konzept politisch weiter vulgarisieren, indem sie den Teil, wo über Lösungen zur Abwendung der Horrorszenarien nachgedacht wird, einfach weglassen.
Es wird wohl noch einige Zeit brauchen, bis man mit einem zuversichtlichen Blick in die Zukunft, die vorwärts statt nur zurück will, wieder Wahlen gewinnen kann. Aber darüber nachdenken sollten wir schon jetzt. Weil allein schon der Gedanke, dass es nie wieder besser wird, als es schon einmal war, uns wirklich den Schlaf rauben sollte. Dann hätten wir nämlich das Ende der Geschichte tatsächlich erreicht. Eine unerträgliche Vorstellung.